Eyb & Wallwitz: Energiekrise als Stresstest für Europa

11.10.2022

Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt von Eyb & Wallwitz / Foto: © Eyb & Wallwitz

Deutschland setzt mehr als 8% des BIP ein, um Haushalte und Unternehmen vor den negativen Folgen der Energiekrise abzuschirmen. Angesichts des begrenzten Spielraums der eigenen Wirtschaftspolitik, kritisieren vor allem Euro-Partnerländer diesen Kurs scharf. Einmal mehr zeigt sich, dass die Konstruktion der Währungsunion und die Bedürfnisse und Ziele nationaler Politik in Krisenzeiten in Konflikt geraten. Die Energiekrise könnte sich zum Sprengstoff für Europa entwickeln. Wahrscheinlicher ist aber, dass vor allem die Euro-Länder auch in der Energiefrage enger kooperieren werden und die Koordination der Wirtschaftspolitik und die fiskalische Vergemeinschaftung einen weiteren Sprung machen.Mit dem neuen 200 Mrd. Euro Paket erhöht Deutschland den fiskalischen Einsatz zur Abschirmung von Haushalten und Unternehmen vor den Folgen der Energiekrise auf rund 300 Mrd. Euro, mehr als 8% am BIP. Damit übertreffen die Maßnahmen den Einsatz in den übrigen Euro-Ländern um mehr als das doppelte. Neben Transferzahlungen an besonders vulnerable Gruppen sind auch Steuersenkungen für Unternehmen sowie Entlastungsmaßnahmen für Energie Teil des Programms. Aus nationaler Sicht sind die Bausteine mehrheitlich nachvollziehbar. Gemäß dem Vorschlag der Expertenkommission sieht das Paket zum Gaspreis für private Haushalte zum einen Einmalzahlungen zum Jahresende und zum anderen die Begrenzung des Gaspreises für einen Grundbedarf von 80% des Verbrauchs auf zwölf Cent pro Kilowattstunde vor. Für industriellen Kunden ist eine Preisdeckelung auf sieben Cent für 70% des Verbrauchs geplant. Aus europäischer Sicht sind sowohl die nachfragestimulierenden Effekte durch allgemeine Steuersenkungen und Preisobergrenzen als auch die mangelhafte Koordinierung der Maßnahmen mit den Partnerländern problematisch. Das gilt auch deshalb, da die EZB keine Vollkaskoversicherung mehr bieten kann. Die bereits hohe Inflation schränkt den Lösungsraum erheblich ein. Vor allem die bonitätsschwächeren Mitgliedsstaaten sehen bereits Wettbewerbsnachteile für die heimische Wirtschaft. Die Energiekrise könnte die Fliehkräfte in der Währungsunion erheblich verstärken, wie der Wahlsieg des rechten Lagers in Italien zeigt. Wahrscheinlicher ist aber, dass es am Ende zu einer engeren Kooperation in der Wirtschaftspolitik kommt. Denn die Kosten und Risiken eines Bruchs der EU und der Währungsunion sind unverändert hoch, insgesamt sowie für die einzelnen Mitgliedsstaaten. Deshalb könnten die bereits existierenden gemeinsamen fiskalischen Instrumente, insbesondere die Anleihenprogramme zur Finanzierung des COVID-Wiederaufbaus, auf die Energiebeschaffung und -erzeugung sowie die Verteidigung ausgeweitet werden. Kooperationen vor allem im Energiebereich würde die Marktmacht der EU deutlich erhöhen und könnten erhebliche Preisvorteile generieren. Die Koordination der Wirtschaftspolitik und die fiskalische Vergemeinschaftung würden damit einen weiteren Sprung machen. (ah)