Eine tickende Zeitbombe

14.04.2016

Lars Heermann

Erst kürzlich hat die EZB die Zinsen weiter verbilligt, eine Erholung ist nicht in Sicht. Makler haben alle Hände voll damit zu tun, ihren Kunden die Attraktivität privater Altersvorsorge plausibel zu machen.

Jetzt droht das nächste Problem: Auch Risikopolicen sind vom Zinstief massiv bedroht. finanzwelt sprach darüber mit Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse bei der ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur GmbH. finanzwelt: Wie wichtig sind angesichts von Solvency II und den damit steigenden Anforderungen an die Sicherheitsmittel der Lebensversicherer deren Finanzkraft und Bonität? Heermann: Das Thema gewinnt in der Versicherungsbranche weiter an Bedeutung. Kopfschmerzen bereitet den Versicherern dabei die Zinsmisere an den Kapitalmärkten. Das Niedrigzinsumfeld stellt vor allem die Lebensversicherer vor gravierende Herausforderungen. finanzwelt: Ein immer größerer Teil der Erträge aus Kapitalanlagen muss ja auch für die Finanzierung der Garantiezinsen aufgewendet werden. Mit welchen Folgen für die Unternehmen? Heermann: Seit 2011 haben die Gesellschaften marktweit mehr als 30 Mrd. Euro in die Zinszusatzreserve eingestellt. Je länger sich die Phase der niedrigen Zinsen fortsetzt, desto umfangreicher werden diese zusätzlich aufzubauenden Sicherheitspolster zur dauerhaften Finanzierbarkeit der zugesagten Versicherungsleistungen. Allein für das laufende Jahr rechnen wir mit einem weiteren Aufwand für die Zinszusatzreserve von 12 Mrd. Euro. finanzwelt: Deswegen hatte es ja bereits in der Öffentlichkeit Diskussionen um eine Entlastung der Versicherer hinsichtlich der Zinszusatzreserve durch die Versicherungsaufsicht gegeben. Heermann: Die Einschätzung steigender Aufwendungen für die Zinszusatzreserve teilt in der Tat auch der Exekutivdirektor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Dr. Frank Grund. Laut einer Meldung vom 19. Februar rechnet er sogar mit einem zusätzlichen Schub in den Jahren 2018 und 2019. Hiervon sind vor allem die konventionellen Lebensversicherungen betroffen, was sich in fallenden Überschussbeteiligungen niederschlägt und in der Öffentlichkeit bereits breit thematisiert wird. finanzwelt: Dass die Zinsmisere aber auch für Risikoversicherungen Gefahren mit sich bringen kann, steht hingegen bislang nicht so sehr im Fokus. Heermann: Das stimmt. Gleichwohl besteht hier ein gewisses Ansteckungsrisiko, weshalb das Thema der Finanzkraft auch bei Risikoprodukten einen hohen Stellenwert hat und im Rahmen von Auswahlentscheidungen potenzieller Produktanbieter eine gewichtige Rolle spielen sollte. Ausgangspunkt dafür ist die Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Sie enthält Regelungen zur Beteiligung der Kunden an den Ertragsquellen des Lebensversicherungsgeschäfts. Zum 07.08.2014 kam es im Rahmen des LVRG hier zu Anpassungen. finanzwelt: Seitdem müssen die Lebensversicherer ihre Kunden zu mindestens 90 % am Risikoergebnis beteiligen. Zuvor waren es 75 %. Also bleibt noch weniger Spielraum? Heermann: Die Dispositionsfreiheit über diese Ergebnisquelle hat sich damit für die Unternehmen verringert, im Gegenzug hat der Gesetzgeber aber Verrechnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Ergebnisquellen zugelassen. Danach darf ein negatives Kapitalanlageergebnis mit einem positiven Risikoergebnis oder übrigen Ergebnis querverrechnet werden. Dahinter steckt das Ziel, die Sicherheit für das Gesamtkollektiv der Kunden im Fall negativer Kapitalanlageergebnisse zu erhöhen. finanzwelt: Im Niedrigzinsumfeld macht diese Maßnahme durchaus Sinn. Zumindest für die Unternehmen, aber wohl doch kaum für die Kunden? Heermann: Diese Möglichkeit steht den Lebensversicherern auch ohne explizite Zustimmung der BaFin zur Verfügung. Im Fall der Fälle ist daher davon auszugehen, dass sie hiervon auch Gebrauch machen. Diese Neuerung stärkt zwar die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer insgesamt, kann sich allerdings insbesondere für die Versicherten in der Berufsunfähigkeitsversicherung als Nachteil erweisen. Dort entstehen nämlich durch vorsichtig angesetzte Rechnungsgrundlagen hohe Risikoüberschüsse. finanzwelt: In welchem Umfang? Heermann: Marktweit liegen sie bei rund 30 % der Prämie. Diese fließen zum Großteil über die Überschussbeteiligung, in der Regel in Form eines Sofortrabatts auf die Prämie, an die Kunden zurück. finanzwelt: Können Sie das einmal verdeutlichen? Heermann: Anhand eines durchschnittlichen Bestandsvertrages in der selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung lässt sich dies abschätzen. 2014 betrug die kalkulierte Brutto-Bestandsprämie hier etwa 831 Euro. Bei einem Sofortrabatt aus Risikoüberschüssen von 30 % ständen im Fall einer vollständigen Absenkung der Überschussbeteiligung insgesamt etwa 250 Euro an rabattiertem Zahlbeitrag unter Risiko. finanzwelt: Für die Kunden ein ziemlicher Schlag – und auch für den Vertrieb. Heermann: Der grundsätzliche Rat für Kunden und Vermittler, bei Preisvergleichen in der BU neben der Nettoprämie stets auch die Bruttoprämie im Auge zu haben, erhält durch die Möglichkeit zur Querverrechnung im angespannten Zinsumfeld eine zusätzliche Relevanz. Die Überschussbeteiligung von BU-Verträgen unterliegt damit nicht nur dem Risiko einer unzulänglichen Kalkulation. Auch im Fall einer ausreichenden Kalkulation der Beiträge besteht für BU-Versicherte das Risiko, zur Verlustdeckung bei nicht ausreichenden Kapitalanlageerträgen implizit herangezogen zu werden. finanzwelt: BU-Versicherte müssen also Vorsorgesparer mitfinanzieren. Heermann: Ja, faktisch würde das bedeuten, dass das Teilkollektiv der BU-Kunden für das Teilkollektiv der Altersvorsorgekunden einspringt. Grundsätzlich sind auch andere Risikoversicherungen mit Sofortrabatt von dieser Gefahr betroffen. Allerdings sind die absoluten Beiträge in der BU regelmäßig deutlich höher, so dass hier das wirtschaftliche Risiko für den Kunden relevanter ist. finanzwelt: Handelt es sich hier um theoretische Gedankenspiele, oder müssen sich Kunden und Vermittler auch in der Realität darauf einstellen? Heermann: Dass ein negatives Kapitalanlageergebnis keineswegs aus der Luft gegriffen ist, belegt die Tatsache, dass 2014 im Branchendurchschnitt das reine Zinsergebnis, das heißt die laufenden Erträge aus Kapitalanlagen abzüglich der Garantiezinsanforderungen und der Zinszusatzreserve, bereits negativ war. Erst durch Auflösung von Bewertungsreserven, die in das übrige Kapitalanlageergebnis eingehen, wurde dies letztlich kompensiert. Dieses Vorgehen birgt jedoch, ähnlich wie ein Anstieg der Kapitalmarktzinsen, die Gefahr, dass die Substanz der stillen Reserven zurückgeht. Hierdurch nimmt die Wahrscheinlichkeit negativer Kapitalanlageergebnisse zu. Verantwortlich dafür sind vor allem die weiter steigenden Aufwendungen für die Zinszusatzreserve. finanzwelt: Also sollten Vermittler nur nach besonders finanzkräftigen Versicherern Ausschau halten? Heermann: Das ist unbedingt zu empfehlen. Denn durch die Querverrechnungsmöglichkeiten erhält die Finanzkraft eines BU-Anbieters eine noch größere Relevanz als bisher. (hwt) (Interview mit Lars Heermann / finanzwelt 02/2016)