Ein Tanz auf der Rasierklinge

09.01.2023

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.

Kein leichter Job für die Notenbanken. Aber kein Mitleid. Sie löffeln jetzt nur die Suppe aus, die sie sich seit 2010 eingebrockt haben. Man kann die Auswirkungen von volkswirtschaftlichen Regeln verkürzen oder verlängern. Aber man kann sie nicht „austricksen“. Das schlimme ist nun, dass jede Maßnahme kräftige Auswirkungen hat, und zwar in beide Richtungen. Aufgrund der hohen Verschuldung weltweit sind diese Wirkungen deutlich ausgeprägter als früher. Hinzu kommen die hohen Volumina der Hedgefonds und anderer Spekulanten, die ebenfalls mit hohen Krediten „arbeiten“.

Eines gilt als ziemlich sicher: Die weltweite Verschuldung wird auch im kommenden Jahr steigen. Außerdem leidet zumindest die „untere“ Hälfte der Einkommensskala an den Kaufkraftverlusten der beiden letzten Jahren, die addiert bei ca. 15 % liegen und bei diesem Personenkreis schwerpunktmäßig bei Energie, Wohnen und Nahrungsmittel angefallen sind. Deren Konsumverhalten wird sich folglich eher abschwächen. Außerdem sind die Banken vor diesem Hintergrund restriktiver geworden, so dass sich auch die Kreditkäufe reduzieren, zumal die Kreditzinsen gestiegen sind.

Eine wichtige Änderung hat sich am Arbeitsmarkt vollzogen. Früher haben sich Zinserhöhungen wegen der hohen Inflation negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt, sodass die Unternehmen Mitarbeiter entlassen haben. Mit dem Ergebnis, dass Lohnsteigerungen nicht durchsetzbar waren. Aufgrund der Demografie, die den Arbeitskräftemangel verstärkt, entlassen die Firmen kein Fachpersonal, weil sie befürchten, beim nächsten Aufschwung kein ausgebildetes Personal mehr zu bekommen. Genau der knappe Arbeitsmarkt macht die Strategie so schwierig. Während etliche andere Preiserhöhungen Einmaleffekte waren, muss, solange Arbeitskräftemangel herrscht, mit jahrelangen steigenden Lohnforderungen gerechnet werden. Diese werden die Inflation weiter anheizen, weil diese Kosten in die Preise einfließen. Eine Lohn-Preis-Spirale ist in Gang gekommen. Eventuell muss das „Inflations-Ziel“ von 2 % auf 3 % oder sogar 4 % erhöht werden. Zumal die Deglobalisierung und die Abkehr von fossilen Brennstoffen weiter Preisdruck ausüben. Ein Ende der Lockdowns in China würde zwar der Wirtschaft zu Hilfe kommen, aber die Rohstoffpreise weiter anheizen.

Die Notenbanken müssten nun die Zinsen noch höher „ziehen“. Dies würde eine tiefere Rezession zur Folge haben. Die Vermögenswerte zum Beispiel Aktien und Immobilien würden im Preis kräftig fallen und recht wahrscheinlich eine Kredit- und Bankenkrise auslösen. Andererseits würden fallende Zinsen zwar die Wirtschaft ankurbeln, aber auch die Inflation zusätzlich befeuern. Also dürfte der Mittelweg sein, die Zinserhöhungen Anfang 2023 auslaufen, aber auf dem erhöhten Niveau auch länger zu belassen. Die Rezession wäre nicht zu tief, würde dafür aber über einen längeren Zeitraum anhalten. So gewinnt man Zeit, die von der Politik mit gezielten Maßnahmen genutzt werden müsste. Von Freibeträgen und Pauschalsteuern bei Rentnern, die in den Arbeitsprozess zurückkehren, über Anwerben von ausländischem Personal, die bestimmte Qualitätsvorgaben erfüllen, bis hin zum Arbeitszwang für arbeitsfähige Arbeitslose. Aber welcher Politiker würde sich diese Thematik auf die Fahne schreiben?

Weitere Imporabilie bleiben die Covid-Politik in China, die Pandemie und der Ukraine- Krieg, die die Börsenkurse in die eine oder andere Richtung treiben können. Sollten Zinssenkungen notwendig werden (evtl. 2. Halbjahr 2023), dürften die Vermögenswerte kräftig steigen, aber nur so lange die Börse davon ausgeht, dass die Wirtschaft kräftig anspringt. Wird diese Hoffnung enttäuscht, werden die USA die Zinsen schneller zurücknehmen als Europa (weil die Zinsen in Europa vorher auch nicht so hoch steigen werden). Der US-Dollar dürfte dann zur Schwäche neigen. Die Aktienkurse den reduzierten Gewinnerwartungen angepasst. Kräftige Kursanstiege und damit deutlich höhere Höchstkurse, erwarte ich dann auch für die Edelmetalle. Vor allem dann, wenn trotz Zinssenkungen die Wirtschaft schwächelt, die Verschuldungen weiter ausgebaut werden, daraufhin die Zinsen entgegen der Notenbankenpolitik wieder steigen und so eine Kredit- und/oder Bankenkrise ausgelöst wird. Edelmetalle sind deshalb für mich die Vermögensversicherung bei einer Kapitalmarktkrise.

Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH