„Ein Kompletttausch der IT-Landschaft erhöht das Tempo nicht“

03.12.2020

Walter Capellmann, Hauptbevollmächtigter der DELA Lebensversicherungen in Deutschland (li.) und Oliver Huber, Senior Salesmanager der Combined Computer Services C.C.S. B.V. (re.) / Fotos: © DELA / C.C.S.

Jüngste Studien bescheinigen der Versicherungswirtschaft, dass die Digitalisierung vorankommt. Echte Transformation scheitert jedoch häufig daran, dass Produktinnovation auf überholten Strukturen aufbauen, sagen Oliver Huber, Senior Salesmanager der niederländischen Combined Computer Services C.C.S. B.V., und Walter Capellmann, Hauptbevollmächtigter der DELA Lebensversicherungen in Deutschland. Beide kennen das internationale Geschäft und appellieren im Gespräch mit finanzwelt, hierzulande Tempo aufzunehmen. 

finanzwelt: Herr Huber, Herr Capellmann, welche Themen werden Ihres Erachtens von der Versicherungsbranche generell über- oder gar unterschätzt?

Oliver Huber: Ein über viele Jahre vernachlässigtes Thema ist die Datenverarbeitung und die Datennutzung, insbesondere unter dem Aspekt des Datenschutzes. Die Einführung der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat im vergangenen Jahr den Druck auf die Branche deutlich erhöht. Nun führen die Versäumnisse der Vergangenheit bei der Umsetzung regulatorischer Vorschriften dazu, dass sich die technischen Möglichkeiten von Big Data kaum oder nur bedingt nutzen lassen. Denn wenn Kundendaten nicht zentral oder gar nicht gespeichert werden können, dann laufen auch die Analysen dazu ins Leere.

Walter Capellmann: Auch das Kundenerlebnis lässt häufig noch zu wünschen. Guten Kundenerfahrungen wird in der Regel zu wenig Beachtung geschenkt, und solche zu initiieren, gehört zu den großen Baustellen. Insurtechs wie Lemonade und One Insurance zeigen der Branche, dass sie den Markt verändern können, indem sie traditionelle Geschäftsmodelle ignorieren und neue Standards bei digitalen Dienstleistungen setzen. Das Kundenerlebnis wird zur obersten Priorität erklärt, etablierte Bestell- und Abschlussprozesse werden ad acta gelegt. Der Versicherungsabschluss muss fester Bestandteil eines positiven Kundenerlebnisses sein. Hier haben viele etablierte Versicherer noch einen weiten Weg vor sich.

finanzwelt: Lässt sich hier ein genereller Trend beobachten?

Capellmann: In der Tat erfreuen sich Lifestyle-basierte Versicherungen einer wachsenden Beliebtheit beim Kunden. Auf Seiten der Versicherer ist jedoch die Entwicklung einer profitablen Police noch extrem schwierig. Ihnen fehlt einfach das Wissen, wie sie ihre aktuellen Daten bestmöglich nutzen können. Das Stichwort heißt ‚Predictive Analytics‘. Es geht darum, Daten auszuwerten und wertvolle Informationen darüber zu erhalten, was sie ihren Kunden heute und morgen anbieten können, und auch darüber, was ein Kunde wert ist.

Huber: Viele Gesellschaften fokussieren immer noch auf die Automatisierung und die Optimierung ihrer internen Prozesse. Ein erheblicher Anteil der Versicherungsangebote basiert nach wie vor auf dem Konzept der standardisierten Einheitslösungen. Diejenigen, die in ihrer Transformation weiter sind, das sind rund 48 Prozent des Marktes, führen zwar inzwischen eine marginale Kundensegmentierung durch. Bis zu vernetzten Dienstleistungen und Echtzeit-Versicherungen reicht diese jedoch nicht.

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