Drei Top-Risiken für Anleger im Jahr 2023

21.12.2022

Robert Greil, CFA, Chefstratege MERCK FINCK / Foto: © Merck Finck

Geldpolitik und Geopolitik bleiben im kommenden Jahr bestimmende Faktoren für die Entwicklung der Finanzmärkte. So schwer insbesondere die geopolitischen Entwicklungen vorherzusagen sind, so wichtig ist es für Anleger, flexibel zu agieren, wenn sich eine Veränderung der Gemengenlage ankündigt. Wir sehen für das Jahr 2023 drei Top-Risiken und zeigen Handlungsalternativen für Anleger im Falle positiver und negativer Überraschungen auf.

1. Der Russland/Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise

Der Russische Angriffskrieg und die damit verbundenen Sanktionen sind und bleiben entscheidende Faktoren für die Energiemärkte. Trotz aller Bemühungen um Alternativlösungen für die Energieversorgung bleiben schon angesichts der kaum absehbaren weiteren Entwicklungen hohe Risiken für die Energiepreis- und damit auch Inflationstrends im neuen Jahr.

Positive Überraschung: Sollten die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch kommen oder sich eine sonstige Entspannung abzeichnen, würde dies vor allem an den europäischen Börsen für eine Erleichterungsrallye sorgen. Anleger sollten dann rasch eine höhere Allokation in europäischen Aktien und Hochzinsanleihen anpeilen. Negative Überraschung: Eine weitere Eskalation oder sogar Ausbreitung des Konflikts etwa auf NATO-Gebiet würde für eine noch stärkere Untergewichtung Europas in unseren Portfolios sprechen. Außerdem wäre eine Erhöhung der ohnehin sinnvollen strategischen Allokation in sicheren Häfen wie Gold ratsam.

2. Der Inflationstrend und die Reaktionen der Notenbanken

Die Inflation schwächt sich vor allem in den USA bereits seit Monaten ab, doch die Notenbanken bleiben im Straffungsmodus. So scheint die Fed lieber ein Übersteuern und damit eine Rezession riskieren zu wollen als eine anhaltend hohe Inflation, und die EZB hat mit ihrer Botschaft vom Donnerstag überraschend entschlossen klargemacht, wie sehr sie weiter steigende Leitzinsen zur Inflationsbekämpfung anpeilt. Die Diskussion über das Tempo der weiteren Straffung hält an – und ihr Ausgang wird wesentlich mitentscheiden über die Erholung an den Kapitalmärkten.

Positive Überraschung: Wenn die Inflation 2023 stärker als erwartet nachlässt, die Notenbanken daraufhin klare Signale für ein Auslaufen der Straffung senden und die Anleiherenditen wieder nachgeben, könnte dies eine breit angelegte Erholung der Märke auslösen. Sobald dies erkennbar ist, dürfte es eine gute Zeit für höhere Allokationen in Aktien und Anleihen sein. Negative Überraschung: Ein kräftiges Übersteuern der Notenbanken zählt zu den größten Risiken, weil dies die Volkswirtschaften wie die USA und jene in Europa in eine tiefere Rezession stürzen könnte. Anleger sollten dann ihre Allokationen in risikobehafteten Vermögenswerten insgesamt überdenken und eine Erhöhung ihrer Investments in sicherere Häfen erwägen.

3. Chinas Haltung zu Covid und Taiwan

Die innen- und außenpolitischen Entscheidungen Chinas haben das Potenzial, die Entwicklung von Weltwirtschaft und Märkten 2023 maßgeblich zu prägen. Im Zentrum steht dabei die von der chinesischen Regierung avisierte und bereits laufende langsame Abkehr von ihrer Null-Toleranz-Politik in Sachen Covid-19, die – wie sich bereits andeutet – alles andere als problemlos verlaufen dürfte und möglicherweise auch bei uns schon bald wieder teils zu mehr Lieferkettenproblemen führen könnte. Das Tempo der chinesischen Konjunkturerholung bleibt daher vorerst moderat, könnte allerdings vor allem im zweiten Halbjahr 2023 an Fahrt gewinnen. Zugleich schwelt weiter der Konflikt mit Taiwan. Dieser hat allerdings in jüngerer Zeit keine neue Nahrung erhalten und China dürfte kaum ein Interesse an einer Eskalation haben, solange insbesondere seine Binnenwirtschaft nicht rund läuft.

Positive Überraschung: Mit einer „stabilen Instabilität“ hinsichtlich Taiwans und allmählicher Wiederöffnung der Wirtschaft ist das aktuelle Szenario bereits ein recht positives. Einzig das Öffnungstempo könnte an Fahrt gewinnen. Tritt die chinesische Regierung hier aufs Gaspedal und gibt es dabei weniger Covid-bedingte Probleme als zu befürchten ist, würden chinesischen Vermögenswerte und damit Schwellenländeranlagen attraktiver. Negative Überraschung: Während eine Rückkehr zu einer strikten Null-Covid-Politik unwahrscheinlich ist, könnte der Öffnungsprozess sich länger als gedacht hinziehen. Auch im Falle einer Eskalation des Taiwan-Konflikts wäre eine Reduzierung bei chinesischen und Emerging Market Investments angebracht.

Blitzlicht-Kolumne von Robert Greil, CFA, Chefstratege MERCK FINCK | A QUINTET PRIVATE BANK