Der Markt rechnet mit expansiver Geldpolitik

17.07.2016

Ulrike Kastens, Stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft des Bankhauses Sal. Oppenheim

Der Ausgang des britischen Referendums bestimmt nach wie vor das Geschehen an den Kapitalmärkten. Sorgen über die wirtschaftlichen Folgen des Brexits für Europa, aber auch die Frage nach der Stabilität des italienischen Bankensystems , beschäftigen die Märkte.

(fw/rm) Viele Marktteilnehmer rechnen in diesem Umfeld damit, dass die EZB weiterhin Gas geben wird, um die Märkte mit Liquidität zu fluten. Aber was ist eigentlich noch von der EZB zu erwarten? Frage 1: Wie stark belastet die Bankenkrise in Italien die Kreditvergabe? Sicherlich das vordringlichste Problem in der Eurozone ist die Lösung des italienischen Bankenproblems, das sich durch den drastischen Rückgang der Aktienkurse infolge des Brexits noch weiter verschärft hat. Dabei geht es nicht um eine Liquiditätskrise – Liquidität ist genügend vorhanden, sondern die Anleger ziehen die Solvenz der Banken in Zweifel. Bis jetzt ist die Krise noch nicht auf Staatsanleihenmärkte übergesprungen, da die EZB nach wie vor in großem Stil Anleihen der EWU-Länder kauft, sodass es kaum zu Spread-Ausweitungen bei italienischen Anleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen gekommen ist und auch Anleihen anderer Peripheriestaaten bisher kaum Auswirkungen zeigen. Sorgen bereitet in Italien vor allem der hohe Anteil notleidender Kredite in den Bankbilanzen. Dabei ist dieses Problem nicht neu, sondern es kam spätestens durch die Asset Quality Reviews und Stresstests 2014 auf die Tagesordnung. Italien ist dabei kein Einzelfall, sondern Griechenland, Irland und Portugal weisen zum Teil noch höhere Raten aus. Nur in Spanien ist es bisher gelungen, einen Teil der notleidenden Kredite abzubauen. Dennoch ist Italien für ein Drittel der gesamten notleidenden Kredite in der Eurozone verantwortlich und dies macht das Problem besonders virulent. Dabei ist die Unternehmensverschuldung in Italien in den letzten drei Jahren auf einem Niveau von rund 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nahezu stabil geblieben, dies spricht gegen eine exzessive Kreditvergabe. Vielmehr dürften die anhaltende konjunkturelle Schwäche und die Rezession in den Jahren 2012 bis 2014 für den deutlichen Anstieg der als notleidend geltenden Kredite verantwortlich sein. Schwerpunktmäßig betroffen sind Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen, wobei ein starkes Nord-Süd-Gefälle festzustellen ist. Wir haben in unseren Analysen zur Wirksamkeit des QE-Programms mehrfach auf das Problem der notleidenden Kredite hingewiesen, die ein wesentliches Hindernis für eine ansteigende Kreditvergabe – gerade auch an Unternehmen – darstellen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Unternehmenskredite in Deutschland und Frankreich steigen, während sie in Italien und Spanien auch seit Jahresanfang weiter zurückgehen. Für die EZB ist es essenziell, dass die Übertragung des geldpolitischen Impulses in die Realwirtschaft funktioniert. Da in Italien rund 90 Prozent der Unternehmensfinanzierung über den Bankensektor läuft, muss dieser Kanal so schnell wie möglich repariert werden, denn die EZB kann es sich eigentlich nicht leisten, dass bei den hohen Risiken, die sie im Rahmen des Wertpapierankaufprogramms eingeht, die geldpolitischen Maßnahmen ihr Ziel (eine steigende Kreditvergabe) nicht erreichen. Insofern wird die EZB auf eine schnelle Lösung drängen. In diesem Zusammenhang sind unserer Meinung nach auch die Äußerungen von EZB-Vize Vitor Constancio zu sehen, der eine „kleine öffentliche Unterstützung“ für die italienischen Banken ins Gespräch brachte.

Wer trägt die Kosten der Rekapitalisierung der italienischen Banken?

Nach der neuen Bankenabwicklungsrichtlinie, die in diesem Jahr in Kraft getreten ist, soll das Geld des Steuerzahlers erst dann eingesetzt werden, nachdem Anteilseigner und Gläubiger sich an den Kosten der Bankensanierung beteiligt haben. Da in Italien viele private Sparer fast die Hälfte der Nachranganleihen in Höhe von insgesamt 60 Mrd. Euro und ein Drittel der Vorranganleihen in Höhe von 600 Mrd. Euro besitzen, möchte die Regierung von einer Sonderregelung Gebrauch machen, die eine Beteiligung des Staates ohne die Einbeziehung der Gläubiger für den Fall erlaubt, dass eine schwere Störung der Wirtschafts- oder Finanzmarktstabilität abgewendet werden muss. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe Dijsselbloem besteht auf eine Einhaltung der Regeln. Die Ergebnisse des aktuell laufenden Stresstest s sollen am 29. Juli 2016 veröffentlicht werden. Wir gehen davon aus, dass es letztlich zu einer Rekapitalisierung des italienischen Bankensystems im Sinne der Sonderregelung kommen wird. Frage 2: Sind weitere Abwärtsrisiken für die Konjunktur zu erwarten? Neben der Bankenproblematik stehen nach dem EU-Referendum in Großbritannien auch die weiteren wirtschaftlichen Aussichten im Mittelpunkt der EZB. Auf der letzten Sitzung Anfang Juni hat EZB-Präsident Draghi die Risiken für die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr ganz so deutlich betont. Doch die anhaltende Unsicherheit über die Folgen des Brexits und die Probleme, vor allem im italienischen Bankensystem, dürften auf die Stimmung drücken. Die Einkaufsmanagerindizes für Juli werden allerdings erst nach der Sitzung veröffentlicht. Auf jeden Fall dürfte die EZB aber die Risiken für die Konjunktur nochmals stärker betonen und auf Abwärtsrevisionen in den Prognosen des Internationalen Währungsfonds hinweisen. Frage 3: Wie sieht der Instrumentenkasten der EZB für die Juli-Sitzung aus? Daher rechnen wir damit, dass die EZB in der kommenden Woche auf ihrer Sitzung erneut die Absicht bekräftigen wird, auf absehbare Zeit an ihrem lockeren geldpolitischen Kurs festzuhalten. Kurzfristig stehen unserer Meinung nach aber eher technische Fragen auf der Tagesordnung. Das betrifft die folgenden Aspekte: Einlagensatz: Dieser liegt aktuell bei -0,4 Prozent und markiert auch die Rendite-Untergrenze für den Erwerb von Anleihen durch die EZB. Da aber schon Bundesanleihen mit einer Laufzeit von acht Jahren eine Rendite von -0,4 Prozent aufweisen, kann am Markt – gerade bei Bundesanleihen – das Material knapp werden. Weil eine weitere Absenkung des Einlagensatzes eine noch größere Belastung für den Bankensektor darstellen würde, rechnen wir nicht mit einer erneuten Reduktion, wohl aber mit einer Aufhebung der Rendite-Bindung an die Höhe des Einlagensatzes. Auch eine Anhebung der aktuellen Grenze des maximalen Erwerbs von 33 Prozent einer Staatsanleihe halten wir für möglich. Abkehr vom Kapitalschlüssel: Eine solche Maßnahme wird von einigen Nachrichtenagenturen kolportiert. Bisher kauft die EZB Anleihen gemäß dem Kapitalschlüssel. Es wird jedoch spekuliert, dass sie sich künftig am Marktvolumen der ausstehenden Anleihen orientieren könnte. Dies würde vor allem Italien begünstigen. Wir halten die Maßnahme indes für nicht durchsetzbar, weil sie den Geruch der monetären Staatsfinanzierung verstärken würde. Mittelfristig wird sich die Diskussion um eine weitere zeitliche Ausdehnung des Wertpapierankaufprogramms, das zunächst bis März 2017 geplant ist, drehen. Im Hinblick auf die zu erwartende anhaltende Verfehlung des Inflationsziels (auch Richtung 2018) gehen wir davon aus, dass das Programm um weitere sechs Monate verlängert wird. Von einer weiteren Erhöhung der monatlichen Ankäufe, die sich aktuell auf 80 Mrd. Euro belaufen, gehen wir nicht aus, da sich die Inflationsrate zu Beginn des kommenden Jahres um die 1Prozent-Marke stabilisieren sollte. Nach wie vor betont die EZB, ihr Instrumentenkasten sei reich bestückt, um letztlich ihr Mandat – eine Inflationsrate von „unter, aber nahe 2 Prozent“ – zu erfüllen. Es drängt sich dennoch die Frage auf, warum die EZB bei ihren Anleihekäufen stärker auf andere Segmente als Staatsanleihen ausweichen muss. Dies weckt unserer Meinung nach Zweifel, ob sie in der Lage sein wird, mit den bisherigen Mitteln ihr Mandat zu erfüllen. Die letzten Maßnahmen, die im Dezember 2015 und im März 2016 ergriffen wurden, waren jedenfalls in ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Kapitalmärkte sowie in ihrer Wirkung auf die Kreditkosten deutlich schwächer als zu Beginn des QE-Programms. Der zusätzliche Nutzen der geldpolitischen Maßnahmen nimmt damit ab, während gleichzeitig die Risiken für die Finanzstabilität zunehmen. Vor diesem Hintergrund kann es eigentlich kein einfaches „Weiter so“ geben, ohne die Glaubwürdigkeit der Notenbank zu beschädigen. QE (Quantitative Easing) bezeichnet unkonventionelle Maßnahmen zur Ausweitung der Geldbasis. Dabei kauft die Notenbank am Markt Wertpapiere auf.

Ulrike Kastens blickt auf die kommende Sitzung der EZB. Die Stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft bei Sal. Oppenheim zweifelt daran, dass die Europäische Zentralbank in der Lage sein wird, mit den bisherigen Mitteln ihr Mandat zu erfüllen.

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