Den Crash-Modus beiseiteschieben

01.12.2014

Die Finanzmarktakteure beschäftigt die Frage, wie es wirklich um unsere Konjunktur bestellt ist. Zwar gibt es derzeit einigen Pessimismus hinsichtlich der weiteren Entwicklung, zumal das deutsche Bruttoinlandsprodukt im zurückliegenden dritten Quartal nur um 0,1 % gestiegen ist. Ungeachtet dessen bricht an den Leitbörsen dieser Welt keine Hysterie aus, die in einer Verkaufswelle mündet. Von einem Crash will derzeit niemand etwas hören.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sind sich in ihrem Ausblick auf das Jahr 2015 darüber einig, dass für Deutschland ein Wachstum von 1 bis maximal 1,5 % realistisch ist. Sicherlich ist das nicht viel. Reformanstrengungen, so der Konsens, sind auch hierzulande nötig, um wieder auf den Wachstumspfad zu kommen. In der Eurozone belastet die Schwäche bei den wichtigen Handelspartnern Italien und Frankreich. Hinzu kommen geopolitische Faktoren wie die andauernde Ukrainekrise und ihr ungewisser Ausgang. Das alles dämpft die heimische Wirtschaft und die fundamental gut aufgestellten Unternehmen.

Es gibt aber auch positive Faktoren. Die USA und China sind als Wachstumslokomotiven der Welt nach wie vor intakt. Zudem können auch geringe oder moderat steigende Wachstumszahlen die Aktienkurse weiter beflügeln. So hat der DAX seit dem Jahr 2010 um 160 % zugelegt und lässt damit den Anstieg der Gesamtwirtschaft weit hinter sich. Das liegt – neben der starken Liquiditätsausweitung – daran, dass die deutschen Unternehmen vielfach auf den internationalen Märkten tätig sind und sich ihr Geschäft also nicht an den Verhältnissen auf dem Binnenmarkt orientiert. Die Aktienkurse korrelieren sowieso generell auch nicht so eng mit den Unternehmensgewinnen. Erlebten wir Mitte Oktober 2014 noch einen Rücksetzer beim DAX auf 8.500 Punkte, so pirscht er sich nun wieder an die 10.000er Marke heran. Wie geht es vor diesem Hintergrund weiter an den Finanzmärkten und sind Aktien als Basisanlageform noch erste Wahl?

finanzwelt diskutierte mit Experten über die Treiber, Trends und das Anlageverhalten an den Kapitalmärkten:

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Lars Brandau**, Geschäftsführer Deutscher Derivate Verband (DDV)

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Uwe Eilers**, Vorstand Geneon Vermögensmanagement AG

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Jörg Spielberger**, Head of Insurances Franklin Templeton Investment Services GmbH

finanzwelt: Die Ukraine-Krise schwelt immer noch und ist brandgefährlich. An den Märkten wird die Angst jedoch von Liquidität übertüncht. Indem die Notenbanken das Heft in die Hand genommen haben, sorgen sie einstweilen für Ruhe. Keine Angst vor dem nächsten Crash?

Spielberger: Ohne Zweifel haben wir es mit einigen Krisenherden zu tun. In welche Richtung sich letztlich diese Problemfaktoren entwickeln, kann im Moment wohl kaum jemand ordentlich und langfristig einschätzen. Daher sollten wir einen genaueren Blick auf die aktuelle Faktenlage werfen, um etwas klarere Sicht zu haben. Zweifellos hat die Politik des billigen Geldes die Hausse an den Aktienmärkten dieser Welt befeuert. Und wer hat bislang hauptsächlich investiert? Es sind hauptsächlich institutionelle Investoren, die die positive Marktentwicklung vorangetrieben haben. Großanleger haben den Weg für den weiteren Anstieg an den Finanzmärkten geebnet. Sie müssen einen Teil ihrer Gelder in Aktien investieren, damit sie ihre Anlageziele erreichen. Möglicherweise sehen wir in den nächsten Wochen aufgrund geopolitischer Entwicklungen Kursrücksetzer von 10 bis 15 %, aber diese Phasen sollten Privatanleger als Gelegenheit für den Einstieg sehen. Ständig nur an die Krisenherde zu denken und deswegen über lange Zeiträume hinweg gar nicht zu investieren, ist keine Strategie.

Brandau: Es fehlen insgesamt die erforderlichen Zutaten für einen großen Aktien-Crash. Wir sehen aber eine deutliche Verunsicherung bei den Menschen, die natürlich wegen der etlichen Krisen nachvollziehbar ist. Gleichwohl ist der langfristige Trend, zumindest am deutschen Aktienmarkt, derzeit intakt. Auch die international tätigen Unternehmen stehen gut da und haben ihre Hausaufgaben gemacht. Leider sind, wie schon in der Vergangenheit bei Kursanstiegen, private Investoren nur wartend an der Seitenlinie und überlassen den institutionellen Investoren das Geschehen. Wichtig wäre, ganz unabhängig vom Einstiegszeitpunkt, dass sich Private wieder an Aktien herantrauen.

Eilers: Ich möchte an dieser Stelle etwas widersprechen. Wir stellen fest, dass sich auch Privatinvestoren durchaus in moderatem Umfang am Aktienmarkt engagieren. Trotz der weiterhin belasteten Stimmung an den Aktienmärkten und eines Abverkaufs im Oktober haben Investoren jüngst erneut speziell bei börsengehandelten Fonds (ETF) zugegriffen. Auch in neuen Vermögensverwaltungsmandaten konnten wir beobachten, dass nennenswerte Aktienquoten gewählt werden. Die weltweiten Krisen trieben die Anleihenrenditen deutscher Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit auf ein Rekordtief von 0,75 % pro Jahr – da müssen auch die Privaten handeln, um Renditen oberhalb der Inflationsmarke zu erwirtschaften.

finanzwelt: Interessanter Aspekt. Schauen wir uns die Fakten näher an, so müssen wir doch festhalten, dass sich das Anlageverhalten trotz Niedrigzinsphase nicht wesentlich verändert hat, oder?

Spielberger: Zahlreiche Umfragen belegen, dass der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung sein Geld trotz Niedrigzinsphase am liebsten auf dem klassischen Sparbuch, Tages- oder Festgeldkonto anlegt. Fonds und Aktien hingegen sind nach wie vor vergleichsweise unbeliebt und das, obwohl global streuende Aktienfonds als Basisinvestment gelten sollten. Der Sicherheitsgedanke steuert das Anlageverhalten und hier schaffen es Aktien und Fonds, trotz des Renditevorteils nicht in die Gunst der deutschen Anleger. Es ist Zeit, dass hier ein Umdenken einsetzt.

Brandau: Das Interesse der deutschen Sparer am Aktienmarkt bleibt leider unverändert verhalten. Gleichzeitig sind zwar sichere, aber Spareinlagen mit negativer Realrendite wie Tagesgeldkonten weiter in der Beliebtheit gestiegen und das trotz noch niedrigerer Zinsen im Vergleich zu 2013. Berater und Anleger sollten nun die vielfältigen Chancen nutzen, die der Kapitalmarkt bietet, um eine gute finanzielle Vorsorge zu treffen. Auch Zertifikate können, neben klassischen Aktienfonds, eine gute Ergänzung im breit diversifizierten Portfolio sein. Mit ihnen kann man sowohl unkompliziert das Depot absichern, aber auch von steigenden, seitwärts laufenden oder fallenden Märkten profitieren.

finanzwelt: Der Rückenwind für die Aktie ergibt sich demnach auch aus dem Mangel an renditestarken Alternativen und ist nicht zuvorderst der Liquiditätsschwemme am Markt geschuldet?

Eilers: Wir müssen doch zwangsläufig in Alternativen denken, und auf den Konkurrenzmärkten zur Aktienanlage gibt es wenig Ertragreiches bei gleichem Chance-Risiko-Profil. Der Boom auf dem deutschen Immobilienmarkt hat sich in diesem Jahr, speziell im Core-Segment, fortgesetzt und zu sehr hohen Preisen in guten Lagen geführt. Hier ist, im Gegensatz zum Bewertungsniveau von Aktien, wenig Luft nach oben. Auf den Anleihenmärkten wird aktuell das Risiko nicht einmal mehr abgedeckt. In der Summe ein weiterhin gutes Ausgangsszenario für Aktien im kommenden Jahr.

finanzwelt: Ok. Klimatisch günstige Voraussetzungen für Aktien, aber es fehlt der Wille und der Mut zum Investieren, und auch die Berater tun sich schwer in der Vermittlung.

Spielberger: Die Politik will Auswüchse wie verschachtelte und überteuerte Fonds verhindern. Doch die komplexe Welt der Finanzmärkte lässt sich oftmals nicht in Paragrafen pressen. Regulierung ist gut, solange sie die Transparenz für Kunden erhöht und das Beratungsangebot verbessert. Allerdings hat die Geschwindigkeit der gesetzlichen Änderung eine neue Dimension erreicht, die die meisten Marktteilnehmer so nicht erwartet haben. Auf der anderen Seite sollte sich auch der Investor die nötige Zeit nehmen, um sich etwas eingehender mit Finanzinstrumenten zu befassen.

Eilers: Die Finanzkrise hat einen richtigen Regulierungsschub ausgelöst: Seit geraumer Zeit müssen Berater detailliert dokumentieren, was sie mit ihren Kunden besprechen; für jeden Fonds und jede Aktie müssen sie ein Produktinformationsblatt aushändigen. Mehrere Rundschreiben der Aufsicht regeln akribisch, wie und was man empfehlen darf – und was nicht. Der bürokratische Aufwand im Verhältnis zum angesteuerten Ertrag ist vielfach zu groß.

finanzwelt: Womit wir letztlich wieder beim schwächsten Glied im Beratungsprozess wären, dem verunsicherten und teilweise unwissenden Bürger.

Brandau: Ja, denn wer kann heutzutage die Kosten inklusive Zinsen für einen Kredit berechnen oder ein Finanzprodukt verständlich erklären? Dass die Defizite in der Finanzbildung oftmals in der Schule ihren Anfang nehmen, belegen zahlreiche Studien. Den jungen Leuten sollten Ratschläge an die Hand gegeben werden, was sie beachten sollten und wie sie am besten kritisch und eigenverantwortlich mit ihrem Geld umgehen.

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finanzwelt**: Neben den Notenbanken und institutionellen Investoren als hauptsächlichen Treiber der anhaltenden Rallye am Aktienmarkt interessiert die Frage, was sich besonders gut verkauft. Welche Trends machen Sie aktuell aus?

Spielberger: Das Thema Mischfonds/Multi Asset wird überall gut gespielt und in diesem Segment finden sich viele Absatzrenner. Laut BVI haben Mischfonds beim Neugeschäft der Publikumsfonds mit 17,1 Mrd. Euro bis Ende September ihren Vorsprung gegenüber Rentenfonds mit 12,2 Mrd. Euro wieder ausgebaut. Neben diesen Multi Asset Fonds werden ausschüttende Fonds auch im kommenden Jahr auf der Beliebtheitsskala ganz oben stehen. Anleger suchen Anlagemöglichkeiten, die sie ruhig schlafen lassen. Am liebsten soll die Wertentwicklung geradlinig nach oben zeigen. Wenige Prozente im Jahr im Plus sind ausreichend – dieses Anlegerbedürfnis gilt es, mit geeigneten Fonds zu befriedigen.

Brandau: Klassiker wie Discount-Zertifikate setzen sich nach wie vor durch. Sie geben ein klares und nachvollziehbares Leistungsversprechen ab und das kommt beim Anleger gut an. Generell stellen wir bei unseren regelmäßigen Umfragen fest, dass für über 70 % die Bonität des jeweiligen Emittenten ein ausschlaggebendes Kriterium beim Kauf eines Zertifikats ist. Wichtig ist, dass Investoren nur jene Produkte kaufen sollten, die sie verstehen und die in ihr individuelles Chancen-Risiko-Profil passen.

finanzwelt: Sie erwarten keinen Crash und stellen der Aktie ein positives Zeugnis aus. Sollte man bei Aktieninvestments im nächsten Jahr auch über den Tellerrand schauen oder bei deutschen Standwerten bleiben?

Eilers: Sowohl als auch. Der US-Aktienmarkt ist in den zurückliegenden Monaten sehr gut gelaufen und der S&P 500 markierte jüngst ein neues Allzeithoch. Dort ist aktuell nicht mehr so viel Luft nach oben. Positiv gestimmt sind wir beispielsweise für den chinesischen Aktienmarkt und andere asiatische Staaten. Der Startschuss für den Zusammenschluss der großen Börsen in Hong Kong und Shanghai dürfte, neben verbesserten Handelszahlen, chinesischen Aktientiteln Auftrieb geben. Daneben sind wir für ausgewählte europäische Kernländer durchaus optimistisch. Wichtig bei Aktieninvestments sind nichtsdestotrotz ein fundiertes Wissen und ein funktionierendes Risikomanagement.

Fazit

Aktien sind ein Basisinvestment und an ihnen sollte derzeit kein Weg vorbeiführen. Allein mit den ausgeschütteten Dividenden lässt sich deutlich mehr Rendite erzielen als mit Staatspapieren. Bis dato haben wir es, trotz aller Krisen, im Vergleich zu früheren Zeiten mit vergleichsweise geringen Kursschwankungen zu tun. Institutionelle Investoren müssen aus Renditeerwägungen im Aktienmarkt bleiben, auch das ist ein Grund für die andauernde Hausse am Aktienmarkt, die bis dato ohne nennenswerte Störfeuer geblieben ist. _(ah)

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Expertengespräch „Entwicklung des Aktienmarktes" – Printausgabe 06/2014