BlueBay AM: „Großbritannien droht eine Finanzmarktkrise"

01.10.2022

Mark Dowding - Foto: © BlueBay AM

Das von der britischen Regierung angekündigte „Mini-Budget“ sorgt für massive Verwerfungen am Anleihemarkt im Vereinigten Königreich. Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay Asset Management, analysiert die möglichen Konsequenzen des Maßnahmenpakets.

„Die Entwicklungen im Vereinigten Königreich beherrschten in der vergangenen Woche das Geschehen an den globalen Märkten: Der Renditeanstieg britischer Staatsanleihen löste Schockwellen aus. Der Verlust des Vertrauens in die Tragfähigkeit der britischen Staatsfinanzen nach dem ‚Mini-Budget‘ vom vergangenen Freitag setzte das Pfund stark unter Druck. Das weckte die Erwartung, dass die Bank of England (BoE) die Zinsen deutlich anheben müsse, um die Währung zu schützen und den Inflationsdruck einzudämmen.

Mitte vergangener Woche musste die BoE schließlich eingreifen, um die Marktstabilität zu wahren. Sie sagte den Ankauf langlaufender Anleihen zu – nachdem sie eigentlich beabsichtigt hatte, im Rahmen der quantitativen Straffung mit dem Verkauf von Staatspapieren zu beginnen. Dies führte zu einer Rekordrallye bei langlaufenden Anleihen: 30-jährige Gilts fielen an einem einzigen Tag um 105 Basispunkte.

Wir sehen wenig Anzeichen dafür, dass die Regierung um Premierministerin Liz Truss ihre geplanten Steuersenkungen zurücknehmen wird. Die Konzentration auf das Wachstum könnte jedoch schnell nach hinten losgehen, wenn die BoE die Zinsen so schnell anheben muss wie von den Marktteilnehmern erwartet. Einfach ausgedrückt: 7 Prozent Hypothekenzinsen könnten zu einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes und einem schnellen Ende der Amtszeit von Truss führen.

In vieler Hinsicht ist es unwahrscheinlich, dass die Steuerpläne die Inflation – oder das Wachstum – sehr stark ankurbeln werden. Sie könnten als vorübergehend angesehen werden, da die Labour-Partei plant, sie wieder rückgängig zu machen. Außerdem treten sie erst ab April 2023 in Kraft. Da sie zudem den Wohlhabendsten zugutekommen, dürfte es kaum einen fiskalischen Multiplikator geben.

Die Begrenzung der Energiepreise dagegen hat dazu beigetragen, die Inflation im Vergleich zu den Prognosen der Zentralbank zu senken. Obwohl ein schwaches Pfund den Inflationsdruck verstärken könnte, waren die bisherigen Kursschwankungen gegenüber dem Euro im historischen Vergleich recht gering. Daher bezweifeln wir, dass die BoE zu einer außerordentlichen Zinserhöhung gezwungen sein wird – zumal ein solcher Schritt durchaus eine Vertrauenskrise gegenüber der Regierung auslösen könnte.

Wir bleiben gegenüber britischen Staatsanleihen und dem Pfund zurückhaltend. Die Risikoprämien im Vereinigten Königreich sind gestiegen und wir vermuten, dass der Inflationsanstieg viel länger anhalten wird als in anderen Ländern. Wir bleiben jedoch bei unserer positiven Einschätzung zur Entwicklung der kurzfristigen Zinsen.

Das Jahr 2008 hat gezeigt, wie schnell aus einer Finanzmarktkrise eine Wirtschaftskrise wurde. Gegenwärtig scheint sich im Vereinigten Königreich eine Energie- und Wirtschaftskrise in eine Finanzmarktkrise zu verwandeln. Es ist sicherlich lehrreich wie schnell sich die Lage in kurzer Zeit ändern kann und wie gefährlich es für eine Schuldnernation sein kann, mit dem Vertrauen der Märkte zu spielen.“ (ah)