Besser mit als ohne DIN 77230

23.07.2018

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Der Arbeitskreis Beratungsprozesse hat im Rahmen eines Workshops über die bald in Kraft tretende DIN 77230 informiert. Obwohl die Norm rechtlich nicht bindend ist, kann sie den Beratern, die sich an sie halten, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Das Projekt DIN 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ steht kurz vor dem Abschluss. Anfang Juni hat mit der Veröffentlichung des Normenentwurfs durch das Deutsche Institut für Normung DIN die Einspruchsfrist begonnen. Auf dem Entwurfsportal des DIN kann nach kostenfreier Registrierung bis zum 8. August der Entwurf gelesen und kommentiert werden. Die DIN 77230 soll nach aktueller Planung noch in diesem Jahr in Kraft treten.

Seit 2014 beteiligt sich der Arbeitskreis Beratungsprozesse an diesem Normierungsprojekt und jetzt im Rahmen eines Workshops über Ziele, Anwendungen und Grenzen der Norm informiert. Alle Referenten sind Mitglieder des DIN-Arbeitsausschusses für die DIN 77230

Keine Beratung

Wie die DIN 77230 zustande kam, erläuterte Holger R. Rohde. Der Wissenschaftliche Leiter der Abteilung Versicherungen und Recht bei der Stiftung Warentest hat bereits an dem Vorläufer Standard DIN SPEC 77222 mitgearbeitet. Gegenüber diesem habe es eine Reihe von Veränderungen gegeben. „Die Beratung ist nicht Gegenstand der Norm – es soll zunächst der objektive und produktunabhängige Status quo des Kunden erfasst und analysiert werden, auf den dann die Beratung mit Produktlösungen folgt“, stellte Rohde fest. Die Norm solle nicht eine denkbare Ideallösung identifizieren, sondern eine bessere, als wenn keine Analyse verwendet werden würde, stellt Rohde auch Anspruch und Grenzen klar.

Soll-/Ist-Vergleich

Was braucht der Kunde und was hat er? Auf diese Formel brachte Michael Franke, Vorstand beim Maklerverbund CHARTA Börse für Versicherungen, die Ausgangsüberlegung für die neue Norm. Die Anwendung stehe für reproduzierbare Ergebnisse, Bedarfsermittlung ohne Produktpräferenzen und neutrale Darstellung. Diese umfasst die Haushaltsdaten, eine Vermögensbilanz sowie eine Einnahmen-/ Ausgabenrechnung. Die Darstellung unterscheidet zwischen drei Bedarfsstufen („finanzieller Mindestbedarf”, „Erhalt des Lebensstandards” und „Erhöhung des Lebensstandards”). Insgesamt werden 42 Finanzthemen auf diese Weise behandelt.

DIN verändert den Markt

„Warum muss ich mich überhaupt mit der DIN 77230 beschäftigen?“, wollte Moderator Marco Habschick, evers & jung, wissen. Seine These: „Die DIN 77230 wird den Beratungsmarkt verändern und jeden Marktteilnehmer tangieren: Softwareanbieter, Vermittler, Produktgeber und Kunden.“ Zwar sei nur die Rundum-Betrachtung („ganzheitlich“), nicht die anlassbezogene Beratung betroffen, die auch weiterhin ihre Berechtigung habe. Jedoch müssten sich Berater entscheiden, ob sie einen DIN-konformen Prozess (ggf. zusätzlich) anbieten oder lediglich ihren eigenen Beratungsansatz (z.B. anlassbezogene) DIN-konsistent halten wollten. Die Norm entfalte insofern auch Fernwirkung auf den Markt.

Die Norm ist nur freiwillig

Die rechtlichen Aspekte der Norm erläuterte Rechtsanwalt Norman Wirth. Hierzu zitierte der geschäftsführende Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen ein Urteil des BGH (Az.: VII ZR 184/97). Demnach sind „DIN-Normen (…) keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“ sind. Wirth betonte jedoch, dass derjenige, der sich an die Norm gehalten haben, den „Beweis des ersten Anscheins“ führe, dass er fachkundig tätig war. „Die Ergebnisse gehen nicht auf Wünsche und individuelle Prioritäten ein. Ebenso bieten sie keine Beratung zu konkreten Finanz- oder Versicherungsprodukten“, stellte Wirth klar. Die Ergebnisse würden zudem pauschalisiert dargestellt. Deshalb sei die Bestandsaufnahme gem. DIN 77230 auch nicht erlaubnispflichtig nach den §§ 34 d, 34 f und/oder 34 h GewO.

Der Normentwurf kann kostenpflichtig beim Beuth-Verlag bestellt oder während der Einspruchsphase (bis zum 08. August 2018) kostenlos auf dem Normentwurfsportal des Beuth-Verlages eingesehen werden. Hierfür ist eine kostenlose Anmeldung erforderlich. Marco Habschick ermuntert zum kritischen Umgang mit der geplanten Norm: „Wir haben mit Kommentaren und konstruktiver Kritik kein Problem.“ Auf diese Weise könne sichergestellt werden, dass die Akzeptanz steige und die Norm in der Branche fest verankert werde. Denn nach dem 8. August sei der Zug erst einmal abgefahren, so Habschick.

Die nächsten Schritte

Habschick hat zudem keine Zweifel daran, dass die neue DIN-Norm für die Branche einen deutlichen Fortschritt bedeutet: „Dem Arbeitsausschuss ist es gelungen, sich trotz zunächst sehr unterschiedlicher Vorstellungen und Interessen auf einen gemeinsamen Standard zu einigen. Das zeigt: Wenn alle Akteure an einem Strang ziehen, brauchen wir für mehr Beratungsqualität keine Regulierung durch den Gesetzgeber.“

Der Arbeitskreise Beratungsprozesse harmonisiert derzeit seine eigenen Materialien für Vermittler mit der Terminologie sowie den Soll-Festlegungen der geplanten Normen und schafft Schnittstellen zum Beratungsprozess. Aufgrund der Bedeutung und des großen Interesses plant der Arbeitskreis weitere Workshops zur DIN 77230. Die Integration der Basis-Finanzanalyse in den Beratungsprozess wird ein thematischer Schwerpunkt sein. (ahu)

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