Auslegungssache

09.03.2016

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In praktisch jedem Antrag auf eine Versicherung gegen biometrische Risiken werden Fragen in unterschiedlichster Form zum Gesundheitszustand der zu versichernden Person gestellt. Die Beantwortung dieser Fragen allerdings ist spätestens im Leistungsfall ein Quell steten Ärgers. Woran liegt das und wie kann man als Vermittler oder Kunde diesen umgehen?

Laut Gesetz muss der Kunde die Fragen korrekt beantworten: So heißt es im § 19 Abs. (1) VVG „Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.“ Der Kunde muss das wohlgemerkt, nicht der Vermittler. Und es muss, zumindest seit Gültigkeit der letzten VVG-Reform aus 2008, ausschließlich das beantwortet werden, wonach der Versicherer explizit fragt. Nun werden in den von den Versicherern gestellten Fragen Begriffe wie „Krankheiten, Störungen oder Beschwerden“ verwendet. Wer aber weiß schon, wie diese Begriffe genau definiert sind? Wo hören Störungen auf und fangen Krankheiten an? Ist eine Störung „schlimmer“ als eine Beschwerde oder umgekehrt?

Die Definition: „Krankheit ist ein Gesundheitszustand,

der vom normalen ernsthaft abweicht, behandlungsbedürftig

war oder ist und regelmäßig auch die

Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt.“

Im Gegensatz dazu weist eine Gesundheits-Störung zwar die Schwere oder Intensität einer Krankheit noch nicht auf, sie ist aber nicht offenkundig belanglos oder vergeht nicht alsbald und kann durchaus auch von ungeklärter Ursache sein. Beschwerden hingegen sind körperliche oder psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, die den Betroffenen in seinem Wohlbefinden beeinträchtigen, ohne notwendigerweise selbst schon Krankheitswert zu haben oder die Arbeitsfähigkeit zu beeinflussen.

Für den durchschnittlichen, um Verständnis

bemühten Verbraucher sind diese Definitionen eher verwirrend als aufklärend.

Es kann in der Praxis somit nicht sinnvoll sein, sich jedes Mal überlegen zu müssen, ob eine Krankheit, eine Störung oder ob Beschwerden vorliegen – oder nicht. Das Problem liegt also in der richtigen Interpretation der gestellten Fragen. Hilfestellung könnte der Bundesgerichtshof bieten. Dieser hat entschieden, dass der Versicherungsnehmer „Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen“, nicht angeben muss (BGH IV ZR 67/00 und IV ZR 99/93). Man spricht hier auch von sogenannten Bagatellerkrankungen oder Befindlichkeitsstörungen. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Eine Grippe ist keine Bagatellerkrankung (im Gegensatz zu einem grippalen Infekt), da diese oft tödlich ausgehen kann und sicherlich eine mehrtägige, wenn nicht mehrwöchige Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt. Sie vergeht also nicht alsbald und kann unter Umständen sehr folgenreich sein. Man sollte sich also immer fragen, ob dieser Umstand fast jeden Menschen einmal erwischt und alsbald und folgenlos vergeht. Wenn auch nur einer der drei Punkte nicht erfüllt ist, liegt wahrscheinlich auch keine Bagatellerkrankung vor und die Angabe im Antrag wäre angezeigt. Aber Achtung: Dies kann nur eine Orientierungshilfe sein. Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Lagerarbeiter in einem Obst- und Gemüsegroßhandel gegen BU versichern. Dieser sagt Ihnen, dass er „außer ein paarmal grippaler Infekt pro Jahr nichts weiter“ habe. Das ist ab einer gewissen Häufigkeit nicht mehr normal, könnte mit dem auf 4 Grad Celsius herabgekühlten Großlager zusammenhängen und ein Vorbote für eine chronische Erkrankung sein. In diesem Fall sind diese grippalen Infekte wohl besser anzuzeigen.

Einige Anbieter formulieren ihre Fragen auch so,

dass nur nach entsprechenden Beratungen oder

Behandlungen gefragt wird.

In diesem Fall muss man in der Tat Umstände, die nicht ärztlich konsultiert wurden und ärztlich nicht bekannt sind, auch nicht angeben. Zu beachten ist hierbei auch, ob genauer definiert wird, wer behandelt. So muss bei obiger Fragestellung („ärztlich“) eine Behandlung bei einem reinen Heilpraktiker, Psychologen oder Physiotherapeuten nicht angegeben werden. Will der Versicherer dies, müsste er präziser fragen. Schließlich sei noch angemerkt, dass bereits ein Besuch beim Arzt in der Regel eine Behandlung ist. Der Arzt muss nicht extra therapeutische Maßnahmen eingeleitet haben!

Nachdem nun das Verständnis für die Gesundheitsfragen

gestärkt ist, stellt sich für den Vermittler natürlich die Frage,

wie eine korrekte Handlungsweise aussehen sollte.

Hierzu kursieren ja viele Hinweise in sämtlichen Medien. Einer dieser immer wieder kolportierten Handlungsweisen ist, dass der Kunde niemals eine Krankenkassenauskunft einholen sollte. Begründet wird dies immer damit, dass er ja nicht wisse, was der Arzt mit der Krankenkasse abrechnet und was da aktenkundig sei. Da man dem Versicherungsnehmer ja nicht vorwerfen könne, etwas, was er nicht wisse, nicht angegeben zu haben, wäre das Einholen der Auskunft und damit das Wissen des Inhaltes nachteilig, da man nun diesen Inhalt in den Gesundheitsfragen wiedergeben müsse. Diese Empfehlung ist schlichtweg falsch. Warum? Weil es ein Nachweisproblem werden wird. Im Leistungsfall wird der Versicherer sehr häufig genau diese Krankenkassenauskunft ziehen. Nun liest er von den eventuellen Anzeigepflichtverletzungen. Bevor er überlegt, ob und von welchem Gestaltungsrecht er Gebrauch machen wird, um leistungsfrei zu werden, befragt er hierzu den Kunden und den behandelnden Arzt. Nehmen wir nun an, hier läge eine fragwürdige Abrechnung des Arztes vor und der Kunde wüsste nichts von dieser Diagnose (natürlich arbeiten längst nicht alle Ärzte auf diese Art und Weise; der Abrechnungsbetrug mit Krankenkassen stellt aber mittlerweile ein nicht zu unterschätzendes Problem in Deutschland dar; daher ist dieses Beispiel in der Praxis leider häufiger anzutreffen). Was wird der Arzt nun machen? Wird er dem Versicherer gegenüber zugeben, dass das „nur“ eine Abrechnungsdiagnose war? Nein, das wird er nicht tun. Er bestätigt nun dem Versicherer die Richtigkeit der Diagnose, und dass er dem Patienten diese Diagnose auch mitgeteilt hat. Was kann der Versicherungsnehmer jetzt noch tun? Leider sehr häufig nichts, da er das Gegenteil nicht nachweisen kann.

Was bleibt somit als erste Priorität beim

Ausfüllen eines solchen Antrages?

Man sollte alles dafür tun, dass dieser Antrag vollständig und korrekt ausgefüllt wird und das Votum des Versicherers, den Vertrag wie geschehen anzunehmen, auch im Leistungsfall bestehen bleibt. Daher kann die einzig sinnvolle Empfehlung nur die sein, dass der Kunde zwingend seine Krankheitshistorie aufarbeiten muss, bevor er einen Antrag auf Versicherungsschutz stellt. Damit ist gemeint, dass zumindest der gesetzlich Versicherte sich sowohl Auskunft von seiner Krankenkasse als auch von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung einholen sollte. Der Privatversicherte sollte dies selbst anhand der ihm vorliegenden Arztrechnungen eruieren können. Natürlich sollte man sich auch von jedem Arzt, der in der Krankenkassenauskunft benannt ist, auch eine Kopie der Krankenakte ziehen, um entsprechende Abgleiche durchführen zu können. Erst wenn der Kunde das gemacht hat, weiß er, was gefahrerheblich ist und was er angeben muss.

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der

Makler sich in diesen Prozess einschaltet, muss dieser

für sich selbst überlegen. Aber zwei Dinge sollten klar sein:

Zum einen muss, wie bereits erwähnt, der Kunde und nicht der Vermittler alle gefahrerheblichen Umstände angeben. Zum anderen muss man als Vermittler wissen, was man tut, wenn man sich diese Auskünfte vom Kunden geben lässt und vielleicht selbst entscheidet, was nun angegeben wird und was nicht, weil man dann in der Haftung wäre. Typische Fehler, die hier passieren können, sind z. B.: Die Auskünfte beinhalten alle Abrechnungen der letzten zehn Jahre, abgefragt wird aber nur ein Fünf-Jahres-Zeitraum; es können somit also Auskünfte zum Versicherer gelangen, die er gar nicht abgefragt hatte. Er wird sie aber verwerten, wenn sie ihm relevant erscheinen. Und das war dann der Fehler des Vermittlers. Oder es werden gefahrerhebliche Umstände nicht angegeben. Wie wird im Zweifelsfall ein Richter entscheiden, wenn der Kunde sagt „Was hätte ich noch tun sollen? Ich habe meinem Makler alle Patientenakten und die Auskünfte der Krankenkasse und der Kassenärztlichen Vereinigung gegeben.“

Fazit

Sowohl Makler als auch Kunden sollten es sich einfach zur Regel machen, dass es der Sache nicht gerecht wird, wenn man die Gesundheitsfragen alleine aus dem Gedächtnis beantwortet. Und ist es nicht einfach nur Faulheit, den Schnupfen nicht im Antrag anzugeben? Denn der wird in der Regel keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Versicherers haben, und dann kann man ihn doch auch einfach angeben. Seien Sie also fleißig.

Stephan Kaiser,

_Geschäftsführender Gesellschafter BU-Expertenservice GmbH

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Onlineausgabe 01/2016