Aufstrebender Populismus gefährdet Wachstum

08.08.2016

Dr. Martin Moryson, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim

Der Populismus ist weltweit auf dem Vormarsch, begünstigt durch die Verunsicherung nach der Finanzkrise und verstärkt durch die Zunahme der Migration. Globalisierungsverlierer entwickeln ein tiefes Misstrauen gegenüber den Eliten. Und der Eindruck einer wachsenden Ungleichheit steigert diese Unzufriedenheit.

Sollten die Vorstellungen der Populisten gegen Globalisierung, gegen Zuwanderung und gegen „Big Business“ zur realen Politik werden, belasten sie das Wachstum. Das Brexit-Referendum zeigt, dass die Populisten auch dann Wirkung entfalten können, wenn sie nicht an die Macht kommen. Es spricht viel dafür, dass die Populismus begünstigenden Faktoren stärker werden. Umso wichtiger ist, dass die Regierenden besonnen handeln. Europa braucht Zuwanderung aufgrund seiner Demografie. Protektionismus würde den Welthandel hemmen und dies könnte uns Wachstum kosten, was letztlich weniger Wohlstand für alle bedeuten würde. Nigel Farage hat mit seiner anfänglich als spleenige Idee belächelten Kampagne zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union diese in eine veritable Existenzkrise gestürzt. Vor einem Jahr hätte niemand darauf gewettet, dass Donald Trump der Präsidentschaftskandidat der Grand Old Party werden könnte. Nun ist er gerade gekürt worden und niemand kann ausschließen, dass er sogar noch der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird. In den Umfragen liegt er derzeit sogar vor Hillary Clinton. Spätestens hier wird klar: Der Populismus ist weltweit auf dem Vormarsch und sollte nicht unterschätzt werden. Aber es handelt sich hierbei um einen schleichenden und im Grunde schon Jahre währenden Prozess. In vielen europäischen Ländern sind populistische Parteien seit Jahrzehnten eine feste Größe, mit der man rechnen muss (Frankreich, Österreich), während sie in anderen Ländern erst seit kurzem an Zulauf gewinnen (Deutschland, Finnland). Die Wahlen zum Europaparlament 2014 zeigten deutlich, dass der Populismus in fast allen europäischen Ländern zu einem nicht zu vernachlässigenden Faktor geworden ist. In Österreich hat nahezu die Hälfte der Bevölkerung für den Kandidaten der FPÖ gestimmt und in Frankreich liegt Marine Le Pen in fast allen Umfragen auf dem ersten Platz. Aber auch in Ungarn, der Türkei, Russland oder den Philippinen – überall auf der Welt reüssieren die Populisten. Was sind die Ursachen? Welche Forderungen stellen die Populisten und welche Auswirkungen hätte ihre Umsetzung? Wird sich diese Entwicklung fortsetzen?

Was sind die Ursachen?

Der britische Historiker Niall Ferguson machte in einem interessanten Vortrag auf der „Zeitgeist“-Konferenz 2016 die seiner Ansicht nach vier essenziellen Zutaten für Populismus aus: • erstens eine Wirtschafts- oder Finanzkrise, die zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft führt, • zweitens die – oft damit einhergehende – Zunahme der Ungleichheit, die das Gefühl befördert, zu den Verlierern zu gehören • drittens eine starke Zunahme der Migration • viertens ein großes Misstrauen gegenüber den Eliten.

Was ist Populismus?

Der Begriff Populismus entzieht sich leider einer einheitlichen Definition. Daher werden die Begriffe Populismus,  Anti-Establishment, Antidemokraten, Demagogen und Autokraten vielfach bunt miteinander vermischt. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Populismus „als eine Politik, die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische Probleme anbietet.“ Nach Jan-Werner Müller, „Was ist Populismus?“, Suhrkamp-Verlag, sind Populisten gegen die derzeit herrschende Elite eingestellt, ohne aber in dem Sinne antielitär zu sein, dass sie Eliten generell ablehnten. Zudem gehören sie – wie beispielsweise Donald Trump – oft selbst zur Elite, schon bevor sie an die Macht kommen. Spätestens wenn sie an der Macht sind, zählen sie dann ohnehin dazu. Der entscheidende Punkt ist meist, dass sie sich selbst als die einzig legitimen Vertreter des „wahren Volkes“ sehen. Das Volk wird so in zwei Gruppen eingeteilt: Die „korrupten Eliten“ und das „wahre Volk“. So besehen sind Populisten vor allem antipluralistisch eingestellt. Hier geht es im Wesentlichen um Rechtspopulisten, deren Schnittmenge insbesondere darin besteht, dass sie das „Establishment“, die Globalisierung und vor allem die Migration ablehnen, meist jedoch ohne realistisch umsetzbare Politikalternativen anzubieten und ohne Rücksicht auf demokratische Grundprinzipien, wie Gewaltenteilung  und Minderheitenrechte, zu nehmen. Bei den angeprangerten Missständen muss es sich nicht einmal um tatsächliche Entwicklungen handeln: Ob die Korruption im Land tatsächlich zu- oder abnimmt, spielt keine Rolle; es reicht, wenn viele glauben, es gehe in ihrem Land korrupt zu und die gewählten Volksvertreter verträten nicht mehr die Interessen des „wahren Volkes“. Ob die Einkommensverteilung tatsächlich ungleicher wird, wie sich aus Maßen zur Darstellung von Ungleichgewichten  wie Gini-Koeffizienten und Dezilverhältnisse zeigt, interessiert nicht. Tatsächlich nimmt die Ungleichheit in der Einkommensverteilung in den meisten Ländern seit mehreren Jahren nur geringfügig zu. Die Zeiten der großen Anstiege liegen überwiegend schon länger zurück. Trotzdem sind gerade jetzt sehr viele Menschen  der Meinung, die Ungleichheit sei ein sehr großes Problem. Die weltweite Finanzkrise war einer der entscheidenden Katalysatoren für die aktuellen politischen Entwicklungen. Es folgte eine schwere Rezession mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit und großer Unsicherheit. Letztlich konnten die herrschenden Eliten das Geschehen dem Volk nicht ausreichend erklären. All dies hat den Parteien an den Rändern des politischen Spektrums Auftrieb gegeben. Typischerweise fällt die Sternstunde der Demagogen nicht mit dem Höhepunkt der Krise zusammen, wenn die Verunsicherung der Menschen am größten ist, sondern sie bricht an, sobald es wieder bergauf geht und viele das Gefühl haben, sie seien abgehängt worden, während die Eliten ihrer Einschätzung nach nicht gelitten und sich auch nicht gekümmert haben. So feierten die – linken – Protestparteien in Italien, Griechenland und Spanien ihre größten Wahlerfolge, als sich bereits erste Wirkungen der Reformpolitik abzeichneten. Viele eher rechts gerichtete Populisten erfahren überwiegend in Ländern Zuspruch, die die Finanzkrise im Großen und Ganzen bereits gut verdaut haben, so in den USA, Großbritannien oder Österreich. Den entscheidenden Aufwind für diese Form des Populismus steuerte die starke Zunahme der Migration bei. Für viele Briten war die EU-Binnenmigration der ausschlaggebende Punkt bei dem Brexit-Votum. Sie wollten im Grunde die Globalisierung abwählen. In Deutschland, Österreich und Frankreich ist es vor allem die Flüchtlingsmigration, die die Menschen beunruhigt, und in den USA die illegale Zuwanderung. Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Eliten sich mehr um die Belange der Zuwanderer kümmerten als um die „normalen Bürger“. Auch hier gilt: Die Empirie ist nicht entscheidend, sondern das Gefühl, Modernisierungsverlierer zu sein, vom Establishment vergessen und vernachlässigt zu werden.

Was wollen Populisten?

So heterogen die einzelnen populistischen Strömungen in den verschiedenen Ländern auch sein mögen, es gibt einige Anliegen, auf die sich die Populisten in der Regel einigen können: Sie sind gegen das Establishment, gegen Big Business, gegen Globalisierung und vor allem gegen Migration. Gerade der letzte Punkt ist entscheidend: Sie sehen sich in der Regel als die einzig legitimierten Vertreter des „wahren Volkes“, das aufgrund der vielen Ausländer um die Früchte seiner ehrlichen Arbeit gebracht wird oder gar seine Arbeitsplätze einbüßt. Über die Ablehnung des Fremden wird das „wahre Volk“ definiert und zugleich die Schuld an dessen Misere den Ausländern zugeschoben. Diese Strategie hat zudem noch den Vorteil, dass die Leid- tragenden dieser Ausgrenzung in der Regel nicht wahlberechtigt sind.

und die wirtschaftlichen Folgen?

Die traditionelle Politik des Westens wird derzeit so stark heraus- gefordert wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Der Aufstieg der Populisten stellt aber nicht nur ein politisches Risiko ersten Ranges dar, sondern er bringt auch handfeste wirtschaftliche Nachteile mit sich. Denn die drei Kernanliegen der Populisten sind schlecht fürs Wachstum: gegen Big Business, gegen Freihandel, gegen Migration. Dass einige Banken nun planen, aus London fortzuziehen, mag in den Augen eines Nigel Farage ein Kollateralnutzen des EU-Referendums sein, Großbritannien wird es Wohlstand kosten. Und nicht nur Großbritannien. Der Internationale Währungsfonds hat aufgrund des Brexits seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft um 0,1 Prozentpunkte gesenkt. Ohne Brexit hätte er sie nach eigenen Angaben um 0,1 Prozentpunkte angehoben. Man kann also die globalen Kosten des Brexits mit rund 0,2 Prozent des Welt-BIPs veranschlagen. Wenn Donald Trump plant, die Handelsverträge mit Kanada, Mexiko und China aufzukündigen, wirkt auch das wohlstandsmindernd, und zwar nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt. Der Protektionismus und vor allem die Anti-Globalisierungs-Stimmung machen sich auch in Europa breit. Unser Kontinent ist ob seiner demografischen Entwicklung auf Zuwanderung angewiesen.  Mit der aktuellen Politik ist Europa aber nicht auf dem besten Weg, den Wettstreit um die besten Köpfe zu gewinnen. Gleiches gilt für die USA: Sollte es tatsächlich zu der von Donald Trump geplanten millionenfachen Ausweisung von Einwohnern kommen, dürfte das auch das Wachstum in den USA empfindlich treffen, schließlich sind die meisten der Immigranten erwerbstätig. Vor allem aber ist die Gefahr groß, dass Protektionismus und Nationalismus auch in anderen Ländern – und sei es nur als Reaktion darauf – um sich greifen. Auch ein Blick in die Historie lehrt, dass Welthandel Wohlstand bedingt: So waren die Phasen, in denen der Handel kräftig zunahm, immer auch solche, in denen die Wirtschaft kräftig wuchs. In Phasen von globalem Protektionismus und Nationalismus war der Handel rückläufig und  die Wirtschaftsleistung, BIP pro Kopf, sank. Letztlich führt weniger Welthandel zu weniger Wachstum und zu weniger Wohlstand für alle.

Wie sind die Aussichten?

Es gibt zahlreiche Gründe anzunehmen, dass diese Entwicklung noch nicht an ihrem Ende angekommen ist. Politische Krisen, der Klimawandel, aber auch die stark wachsende Bevölkerung in Afrika werden weiterhin dafür sorgen, dass die Flüchtlingsströme noch anwachsen – auch das ist schließlich ein Teil der Globalisierung. Zudem dürfte die Ungleichheit in der Einkommensverteilung weiter zunehmen, langsam zwar, aber unaufhaltsam. Hierbei spielen neben der Globalisierung auch die fortschreitende Digitalisierung und Technisierung der Produktion eine wichtige Rolle. Die Folgen der Finanzkrise sind vielerorts noch lange nicht überwunden. Und so verwundert es nicht, dass die Zufriedenheit mit den aktuellen Regierenden eher abnimmt, das Misstrauen gegenüber den Eliten steigt und sich damit das Risiko erhöht, dass die Populisten noch mehr Rückenwind spüren. Hinzu kommt, dass Populisten ihre wachstumsfeindliche Wirkung nicht nur entfalten, wenn sie tatsächlich an die Macht kommen. Vielmehr finden ihre Ideen bereits auch so in der Politik ihren Niederschlag. Sei es, weil die anderen Parteien, um Wählerstimmen zu halten, teilweise ihre Ideen übernehmen. Sei es, weil sie den „Zeitgeist“, das große gesellschaftliche Narrativ, prägen: Obwohl Hillary Clinton ursprünglich für die Freihandelsabkommen in den USA war, ist sie unter dem Druck von Bernie Sanders und Donald Trump ein- geknickt, und nun fordert auch sie, dass die Freihandelsabkommen mit Mexiko, China und zahlreichen anderen Staaten nachverhandelt werden sollten. Europas Grenzen schließen sich zunehmend, obwohl fast überall normale Parteien regieren. Die größte Gefahr aber ist, dass diese Entwicklungen in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. Die politischen Errungenschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beziehungsweise seit dem Fall der Mauer werden als so selbstverständlich hingenommen, dass darum zu kämpfen überflüssig erscheint. Die meisten Briten, die für den Brexit gestimmt haben, waren nicht gegen das Friedensprojekt Europäische Union. Nur war in ihren Augen die Europäische Union nicht wichtig genug für den Frieden. Ähnliches dürfte für viele potenzielle Trump-Wähler in den USA gelten. So besehen kann man nur hoffen, dass die Regierenden den Ernst der Lage erkennen und die richtige Balance zwischen Entgegenkommen  und festen Grundsätzen finden, um einen weiteren Siegeszug des Populismus zu verhindern.

Ein Kommentar von Dr. Martin Moryson, Chefvolkswirt, Sal. Oppenheim

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