Anlegerschutz nicht aus dem Auge verlieren

18.10.2015

Christian Vollmuth

Die Wirtschafts- und Finanzkrise bedeutete eine Zäsur nicht nur für die Gemeinschaftswährung Euro, sondern auch für den Anlegerschutz. Die Erschütterung bei den Politikern und Aufsichtsbehörden war groß und fortan galt es – neben der Rettung des Euro – das Finanzwesen insgesamt stärker an die Leine zu nehmen, um so auch den Anlegerschutz weiter zu stärken.

(fw) Zwar ist durchaus umstritten, ob die Finanzkrise überhaupt Probleme im Anlegerschutz offengelegt hat. Fakt ist jedoch: seit 2008 ist neben Regulierung auch der Anlegerschutz das große Zauberwort. Mittlerweile ist es aber durchaus legitim zu fragen, ob das Rad der Regulierungsvorhaben nicht vielleicht schon überdreht worden ist. Nutzt die Regulierung noch dem Anleger? Eine Analyse, vorgenommen von Christian Vollmuth, Geschäftsführer Deutscher Derivate Verband (DDV).

Frage: Herr Vollmuth, die Regulierungsmaschinerie dreht sich unentwegt weiter. Nicht nur Außenstehende, sondern auch Marktkenner, hegen mitunter Zweifel an der Sinnhaftigkeit weiterer Richtlinien und Regeln. Hat die Bürokratie denn den Anlegerschutz noch in angemessener Weise im Auge?

Vollmuth: Die Krise in 2008/2009 hat die Europäische Kommission dazu veranlasst, zahlreiche regulatorische Vorhaben auf den Weg zu bringen, die dem Ziel der erhöhten Finanzmarktstabilität und zudem vor allem dem Anlegerschutz dienen sollten. In der Tat ist das Bankensystem sicherer geworden. Allerdings stellt sich bei mittlerweile schätzungsweise mehr als 100 europäischen Regulierungsvorhaben mit Finanzthemen die berechtigte Frage, ob wir es nicht schon mit einer Überregulierung der Märkte zu tun haben. Das wäre dann sicherlich auch nicht im Interesse des Anlegerschutzes.

Frage: Wenn aber doch dem Anlegerschutz gedient wird, spielt es dann für den Anleger eine Rolle, ob die Banken "zu sehr reguliert werden"?

Vollmuth: Regulierung macht Sinn und ist nötig, wenn sie den Zielen der Finanzmarktstabilität und des Anlegerschutzes dient. Anders als bei der Bankenstabilität, bei der beispielsweise neuere Stresstests durchaus Verbesserungen zeigen, ist es jedoch beim Anlegerschutz zunehmend fraglich, ob ihm mit der Regulierungswut überhaupt noch gedient wird. Dies liegt vor allem an der zunehmenden Menge und Komplexität der Regulierung.

Frage: Wo liegt denn da der Unterschied zwischen der Regulierung zur Erhöhung der Finanzmarktstabilität im Vergleich zur Verbesserung des Anlegerschutzes?

Vollmuth: Regulierung zugunsten der Finanzmarktstabilität kann und muss unter Umständen äußerst komplex sein. Der einzelne vom Finanzmarkt betroffene Kunde/Anleger muss von den Vorgängen "hinter den Kulissen" gar nichts mitbekommen, um vom verbesserten Schutz des Systems zu profitieren. Anders beim Anlegerschutz: Hier geht es – neben dem Schutz vor den "schwarzen Schafen", von deren Angeboten jeder Anleger die Hände lassen sollte – vor allem darum, es dem Anleger möglichst einfach zu machen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und dabei hilft es ihm als solches erstmal gar nicht, wenn seine Bank mit immer mehr und immer aufwendigeren Maßnahmen "in die Zange genommen" wird. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand fragen sich inzwischen auch Vertreter von Aufsichtsbehörden, ob das immens aufwendige und komplexe EU-Prospektregime irgendwelche messbaren Verbesserungen für den Anleger gebracht hat. Hier stellt sich dann die berechtigte Frage, ob die bloße Belastung der Finanzbranche ohne einen nachvollziehbaren Nutzen für den Anleger noch Sinn macht, oder vielmehr zur reinen Schikane verkommt, die unter dem Strich auch dem Anleger schadet.

Frage: Wie soll sie denn dem Anleger schaden?

Vollmuth: Zum einen schadet es letztlich dem Anleger, wenn die vermeintlich zu seinen Gunsten verlangten Informationen und Leistungen so komplex werden, dass er sie ohnehin nicht mehr versteht. Darüber hinaus führt das teilweise zu beobachtende "Überdrehen" der Regulierung gerade im Privatkundengeschäft dazu, dass dem Anleger ganze Märkte künftig verschlossen bleiben. So haben nicht wenige Banken beispielsweise das Angebot von Unternehmensanleihen und -aktien für Privatanleger ganz eingestellt, weil sich das Geschäft wegen der regulatorischen Anforderungen für sie einfach nicht mehr lohnt. Der Schutz vor schlechten Geschäften kann letztlich nicht in dem faktischen Verbot liegen, überhaupt irgendwelche Geschäfte zu machen, Neben den Unternehmen der Realwirtschaft, die künftiger eher mehr als weniger auf den Kapitalmarkt angewiesen sein werden, trifft dies letztlich auch den Anleger, der ja zur eigenen Vermögensvorsorge stetig stärker auf die eigenen Geldanlage verwiesen wird.

Frage: Womit wir wieder beim Verbraucher wären. Die seit einiger Zeit erforderlichen Produktinformationsblätter (PIBs) sollen mehr Anlegerschutz bewirken. Tun sie das wirklich?

Vollmuth: Der Anleger muss das Geschriebene verstehen und auf dieser Grundlage seine Entscheidung treffen können. Zudem soll er durch die kurze, prägnante Darstellung der Produktmerkmale in die Lage versetzt werden, die Chancen, Risiken und Kosten verschiedener Produkte miteinander zu vergleichen. Das dient wirklich dem Verbraucherschutz, wenn es richtig gemacht wird.

Frage: Was tun Sie als Verband, um den Anforderungen an mehr Klarheit und Einfachheit zum Wohle des Anlegers gerecht zu werden?

Vollmuth: Unser erklärtes Ziel beim Deutschen Derivate Verband ist es zu agieren und nicht nur zu reagieren. Wir erarbeiten Branchenstandards, die bewusst auch über regulatorische Erfordernisse hinausgehen und oftmals beispielsweise künftige EU-Anforderungen praktisch vorwegnehmen und als Meilensteine angesehen werden dürfen. Die Basis bildet der Fairness Kodex, zu dem sich alle unsere Mitglieder verpflichten. Darüber hinaus engagieren wir uns in besonderer Weise für die wirtschaftliche Bildung. Wir stellen nicht nur verständliche Erläuterungen rund um das Thema Zertifikate zur Verfügung, sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass sich immer mehr Menschen gut mit Anlageprodukten auskennen. Auch so verstehen wir Anlegerschutz.