Aktienmärkte spiegeln nicht die Realwirtschaft wider

20.05.2020

Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman Foto: © Joseph Amato

COVID-19 hat zahlreiche Todesopfer gefordert. Darüber hinaus hat die Pandemie unseren Sozialkontakten geschadet, internationale Lieferketten gestört, Karrieremöglichkeiten beeinträchtigt und das Gesundheitssystem auf die Probe gestellt. Außerdem scheint Corona die Beziehung zwischen den Aktienmärkten und der Realwirtschaft geschwächt zu haben. Dies alles erläutert Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman, in einem aktuellen Marktausblick.

Denn trotz des Kursrutschs in der letzten Woche ist der S&P 500 Index seit Jahresbeginn um nicht einmal 15 Prozent gefallen. Mitte März waren die Verluste noch doppelt so hoch, und selbst das war nicht mehr als bei einer durchschnittlichen Rezession.

Dabei sieht man sofort, dass die derzeitige Rezession alles andere als durchschnittlich ist. Chinas Volkswirtschaft, die zweitgrößte der Welt und ihr wichtigster Wachstumsmotor, ist im ersten Quartal um fast zehn Prozent geschrumpft. Im Euroraum fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um 3,8 Prozent, in Großbritannien um zwei Prozent – und das, noch bevor sich die schlimmsten Folgen des Lockdowns dort bemerkbar machten. Letzte Woche wurde bekannt, dass die amerikanische Industrieproduktion im April 15 Prozent niedriger war als vor einem Jahr und die Einzelhandelsumsätze um 22 Prozent gefallen waren. In nur zwei Monaten ging in den USA der Beschäftigungszuwachs von zehn Jahren wieder verloren, und das traf nicht alle gleich. Letzte Woche legte Fed-Chairman Jerome Powell düstere Zahlen vor: Im März hat sich in 40 Prozent aller US-Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 40.000 US-Dollar eine Person arbeitslos gemeldet. Das Schlimmste könnte uns aber noch bevorstehen: Einige Volkswirte schließen nicht aus, dass die US-Arbeitslosenquote im Mai auf 20 bis 25 Prozent steigt.

Vielleicht liegt der Tiefpunkt aber doch schon hinter uns. Die meisten europäischen Volkswirtschaften beginnen wieder zu arbeiten, auch jene, die stark unter dem Virus leiden. Und 29 US-Staaten – das sind zusammen etwa 40 Prozent Anteil am amerikanischen BIP – erlauben wieder den Betrieb einzelner Unternehmen, die nicht zur Grundversorgung zählen. Zur Rettung von Menschenleben kommt die Sicherung unserer Lebensgrundlagen hinzu, ein wichtiger Paradigmenwechsel.

Dennoch wird immer klarer, dass die Erholung lange dauern könnte, mit Rückschlägen und Defiziten. Einkommensunterschiede werden dabei ebenso im Fokus stehen wie die ungleiche Gesundheitsversorgung und ungleiche Bildungschancen. Auf jeden Fall dürften Rufe laut werden, dass der Faktor Arbeit stärker am Wachstum partizipiert als bisher – zulasten des Faktors Kapital. Schlimmstenfalls drohen soziale Unruhen durch diese wachsende Ungleichheit. Wie aber passt all dies zu 2.900 Punkten beim S&P 500?

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