Russland: mehr Trugbild als Chancen

01.03.2017

Christophe Bernard / Foto: © Vontobel

Russland hat schon immer die Phantasie des Westens angeregt. Anleger träumen von sagenhaften Reichtümern, und Kinobesucher fiebern der Niederlage eines russischen Bösewichts gegen James Bond entgegen. Was sich derzeit im Kreml abspielt, scheint ironischerweise direkt einem Buch von Ian Fleming entnommen: Ein früherer Geheimdienstagent zieht die Fäden und stellt eine Bedrohung für den Westen dar. Doch die Märkte sind objektiv und stets auf der Suche nach Anlagechancen – auch in Moskau. Allerdings dürfte das dortige Umfeld für die Anleger sehr schwierig bleiben, sieht man von gelegentlichen Schnäppchenkäufen ab.

Für den Westen im Allgemeinen und die Anleger im Besonderen ist Russland faszinierend und geheimnisvoll zugleich. Einerseits gilt es als Land, das über enorme Ressourcen und ein schier unerschöpfliches Potenzial verfügt. Andererseits ist es eine Quelle stetiger Enttäuschung und politischer Risiken. Winston Churchill hat dies 1948 so formuliert: "Russland ist ein Rätsel, umgeben von einem Mysterium, verborgen in einem Geheimnis. Aber es gibt einen Schlüssel dazu. Und dieser Schlüssel ist das nationale Interesse Russlands." Dies dürfte zutreffen. Vor zehn Jahren bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin an der Sicherheitskonferenz in München die Weltordnung nach dem Kalten Krieg als einen Schwindel. Er beschuldigte die USA, internationales Recht zu missachten und den Einfluss der Nordatlantikpakt-Organisation nach Osten auszudehnen. Und er meinte das ernst. Inzwischen ist Russland in Georgien einmarschiert, hat die Krim annektiert, die Ukraine destabilisiert und spielt eine entscheidende Rolle im Syrien-Konflikt. Das Land ist von einer Macht mittlerer Grösse wieder zu einem ernstzunehmenden geopolitischen Akteur aufgestiegen.

"Sanfte Macht" auf russische Art

Russland entwickelt zudem eine Alternative zur liberalen Weltordnung, für die die USA seit dem 2. Weltkrieg geradestehen. Dies in einer Zeit, in der die westlichen Demokratien unter Druck stehen. Populistische Führer, welche die Europäische Union oder die Eurozone als Wurzel allen Übels betrachten, werfen sich nur zu gerne in die Arme Moskaus. Ihnen ist zudem gemeinsam, dass sie ihre Länder und "das Volk" vor den Gefahren des Welthandels beschützen wollen. Kommt hinzu, dass sich viele Stimmbürger mittlerweile von ihren politischen Eliten abwenden. Kombiniert man diese beiden Faktoren, sind der "Brexit", die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten, der sprunghafte Anstieg der Beliebtheit des Front National in Frankreich oder der Alternative für Deutschland in den Umfragen die logische Folge.

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