Politisches Neuland

22.11.2017

Michael Beck, Leiter Asset Management Ellwanger & Geiger / Foto: © Ellwanger & Geiger

Nun also ist das Unerwartete eingetreten – die Jamaika-Unterhändler haben es vergeigt. Die Niederlande, Frankreich und auch Österreich hatten die Befürchtungen von Chaos-Regierungen mit ihren Wahlergebnissen widerlegt – ausgerechnet Deutschland schafft es nun, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik keine Mehrheitsregierung bilden zu können. Dies wird wohl zu einer längeren Phase der politischen Unsicherheit führen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Die EU-Gemeinschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen und Reformanstrengungen und hat eigentlich schon ungeduldig auf die Regierungsbildung in Berlin gewartet, um diese Vorhaben anzugehen. Nun wird sich die Regierungsbildung auch in Deutschland in die Länge ziehen. Der deutsche Leitindex Dax hat relativ besonnen auf diese unerwartete Nachricht reagiert und sogar wieder ins Plus gedreht, auch der Eurokurs spiegelt keine besonders große Verunsicherung wider. Es scheint sich um eine Art Gewöhnungseffekt nach den erfolgreich überstandenen langen Regierungsbildungsphasen wie z. B. in den Niederlanden oder Belgien zu handeln. Dort gab es keinerlei negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung und dasselbe erwarten die Marktteilnehmer nun auch für Deutschland. Die zentrale Stellung Deutschlands als wirtschaftlich führende Nation in Europa stellt allerdings eine andere Qualität dar.

Welche Wellen das in der Summe schlagen wird, ist noch nicht eindeutig absehbar. Der Meeresspiegel jedenfalls wird weiter steigen, das kann auch die gerade zu Ende gegangene Klimakonferenz in Bonn leider kaum verhindern. 25 Staaten haben sich daher für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung entschieden. Der norwegische Staatsfonds, dessen Fondsvermögen nahezu vollständig aus Gewinnen aus dem Rohöl- und Gasgeschäft resultiert, hat sich innerhalb seiner neuen Nachhaltigkeitsstrategie dazu entschieden, genau jene Rohöl- und Gaswerte aus seinem Portfolio zu verbannen. Der Energiesektor kam daraufhin in Europa unter Druck, aber daraus eine generelle Sektor-Rotation erkennen zu wollen, dürfte noch etwas zu früh sein. Die Bewertungen an den internationalen Aktienbörsen geben jedoch bereits jetzt schon einen deutlichen Hinweis darauf, welche Branchen von den Investoren als zukunftsträchtig angesehen werden und welche nicht. So weisen zum Beispiel Automobil- und Versorgerwerte extrem niedrige, Konsum- oder Technologietitel extrem hohe Bewertungen auf. Die Frage wird sein, wie lange die Finanzmärkte die politische Unsicherheit in Berlin tolerieren werden. Wohl zumindest so lange, wie der weltweite konjunkturelle Datenkranz so stabil ausfällt wie bisher. Die Finanzmärkte erwarten dennoch über die weitere Vorgehensweise zügige Information und Transparenz von den handelnden Akteuren in Berlin.

Kolumne von Michael Beck, Leiter Asset Management Bankhaus Ellwanger & Geiger KG