Nach Brexit-Beschluss: Die 3 Szenarien des Chefanalysten für die Weltwirtschaft

26.07.2016

Bo Bejstrup Christensen

Am 23. Juni stimmten 52 % der britischen Wähler für einen EU-Austritt – und stellten damit die Erwartungen an die Entwicklung der Weltwirtschaft mit einem Mal auf den Prüfstand. Bo Bejstrup Christensen, Chefanalyst von Danske Invest, erläutert seine Prognose bis zum Jahresende 2016 – mit einem Worst- und einem Best-Case- Szenario.

Laut Christensen werden sich vor allem das Brexit-Referendum als auch die Entwicklung auf dem chinesischen Wohnungsmarkt unmittelbar und stark auf die Globalkonjunktur auswirken. 1. Das erwartete Szenario: keine Katastrophe „Die Weltwirtschaft, angeführt von den USA und von China, wird im 2. Halbjahr weiter ansteigen“, ist sich Bo Bejstrup Christensen sicher. „Das Wachstum wird allerdings an Tempo verlieren. Grund dafür ist der in China bremsend wirkende Wohnungsmarkt und ein Europa, das ein spürbar schwächeres Wachstum verzeichnen wird – sogar mit der Folge einer potenziellen Rezession.“ Seit 3 Jahren befindet sich die Eurozone grundsätzlich in einer positiven Wachstumsphase. Und das dank einer schwächeren Währung, einem niedrigen Ölpreis, günstiger Zinsen, einer nicht sehr straffen Finanzpolitik und nicht zuletzt wegen eines stärkeren Bankensystems. Doch dann stimmten die Bürger in Großbritannien über die EU-Zugehörigkeit ab – und entschieden sich gegen eine weitere Mitgliedschaft. „Der gesamte Fokus liegt jetzt auf Europa“, sagt Bo Bejstrup Christensen. „Wir gehen davon aus, dass die Eurozone im 2. Halbjahr stark an Tempo verlieren wird. Grund sind die gewaltigen politischen Folgen, die der Brexit ausgelöst hat.“ Reaktionen der Unternehmen Liegt das Wachstum in der Eurozone heute bei etwa 2 %, könnte es vor dem Hintergrund des Brexit-Referendums nach Schätzung von Christensen auf unter 1 % sinken – möglicherweise sogar negativ werden. Dieses Szenario erscheint insbesondere wahrscheinlich, wenn die Unternehmen angesichts des bevorstehenden EU-Austritts der Briten und der damit verbundenen enormen Unsicherheit insgesamt vorsichtiger agieren. Beispielsweise könnten Firmen ihre Lagerbestände reduzieren, die Kassenbestände erhöhen sowie Investitionen und Neueinstellungen zurückfahren. „Großbritannien wird im 2. Halbjahr direkt in die Rezession rutschen. Wäre das eine Katastrophe? – Nein. Denn das derzeitige politische Erdbeben ist zwar kräftig, doch es wird rasch überstanden sein, und danach werden wir uns an die neue Wirklichkeit anpassen. Auch wenn diese Wirklichkeit eine hohe politische Unsicherheit für eine lange Zeit bedeutet.“ Für den Jahresbeginn 2017 prognostiziert Christensen ein langsam zunehmendes Wachstum. Dieses wird durch die Tatsache unterstützt, dass die Zentralbanken alles für die Stabilisierung des Bankensystems tun werden. Ausblick für die USA und China In den USA liegt das Wachstum heute bei 1,5 %. Christensen erwartet, dass ein solides Bankensystem und ein starker Immobilienmarkt zu einem Anstieg auf 2,0 bis 2,5 % im 2. Halbjahr führen werden. Sollte dies eintreten, wird sich die Zahl der Arbeitslosen verringern und dadurch einen Aufwärtsdruck bei der Lohn- und Preisinflation erzeugt. „Und dann wird auch die US-Notenbank die Zinsen im 2. Halbjahr 2016 oder im Laufe von 2017 anheben“, erwartet Christensen. Anders sieht es in China aus. Dort wird das derzeitige Wachstum von etwa 6,5 % bis Ende 2016 auf etwa 5 % sinken, erwartet Christensen. „Chinas Wachstum ist bislang von einer expansiven Finanzpolitik und einer kräftigen Lockerung auf dem Wohnungsmarkt angetrieben worden, da die Regierung den Zugang zu Immobilienkrediten erleichtert hat. Doch diese staatlichen Anreize werden jetzt abnehmen“, ist der Experte überzeugt. 2. Das Worst-Case-Szenario: eine kräftige Rezession Das Negativ-Szenario für die globale Wirtschaft in den kommenden 6 Monaten würde in erster Linie von Europa aus angetrieben. „Sollte der Worst-Case eintreten, wäre der Schlag durch das Brexit-Referendum für die Weltwirtschaft so stark, dass es nicht nur zu einer milden, sondern zu einer kräftigen Rezession in Europa käme“, erklärt Christensen. „Die Aussicht, dass Großbritannien die EU verlässt, und die Unsicherheit in der Zukunft könnten die Unternehmen dazu veranlassen, bei den Investitionen kräftiger zu kürzen und mehr Mitarbeiter zu entlassen, als wir erwarten. In einem solchen Fall würde der Privatkonsum ernsthaft beeinträchtigt, woraufhin das Wachstum stärker sinken würde, als wir zum derzeitigen Zeitpunkt glauben.“ In diesem Szenario wären die Auswirkungen auf die übrige Welt entsprechend spürbarer und würden auch die USA und China intensiver betreffen. Vor allem das Reich der Mitte würde durch die Kombination aus einem noch schwächeren Wohnungsmarkt und einem stark in Mitleidenschaft gezogenen Exportsektor noch mehr an Schwung verlieren als erwartet. Die USA könnten auch ein Worst-Case-Szenario verkraften. Die Unternehmen würden aufgrund der Unruhe in Europa sowie der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im eigenen Land etwas vorsichtiger agieren. Das würde ein sinkendes Wachstum in den USA anstelle eines geringfügigen Anstiegs bedeuten. Immobilienmarkt wird USA weiterhin stützen „Wir erwarten nicht, dass es in den USA zu einer Rezession kommt, unter anderem weil der Immobilienmarkt weiter wachsen wird“, erklärt Christensen. „Ein Grund dafür ist, dass der Wohnungsbau nicht mit der demografischen Entwicklung Schritt halten kann. Und es gibt eine Nachfrageflaute, die beendet werden könnte, wenn die Banken etwas weniger restriktiv bei der Kreditvergabe wären.“ Derzeit werden in den USA zwischen 1,2 und 1,3 Mio. Wohnungen pro Jahr gebaut – doch der Bedarf liegt bei rd. 1,5 Mio., so schätzt Christensen, um zumindest den Bevölkerungszuwachs und die Zahl der Abrisse aufzuwiegen. Es würde daher helfen, dem Wohnungsbau unter die Arme zu greifen. 3. Das Best-Case-Szenario: Stabilisierung noch in 2016 Im Optimalfall für die Weltwirtschaft verliefe die Rezession in Großbritannien sehr mild, wenn es überhaupt dazu käme, und das Wachstum würde bereits im 1. Halbjahr 2017 wieder zurückkehren. Derselbe Mechanismus gelte für die Eurozone. Zum Jahresende 2016 oder zu Jahresbeginn 2017 würde sich die Konjunkturentwicklung stabilisieren oder sogar leicht ansteigen. „Das positive Szenario bedeutet auch, dass wir uns im Hinblick auf China irren und dass die Besserung, die wir auf dem Wohnungsmarkt gesehen haben, tatsächlich haltbarer ist, als wir erwarten. Das würde bedeuten, dass die Verkaufsaktivität, die um 30 bis 35 % gestiegen ist, hoch genug bleibt, um die großen Bestände an unverkauften Wohnungen – insbesondere in den kleineren Städten und Ortschaften – abzubauen“, erklärt der Chefanalyst des dänischen Asset Managers. In diesem Szenario verzeichnet der Wohnungsbau eine flache Entwicklung oder steigt sogar, anstatt zu sinken. Das würde insgesamt zu einem besseren Wachstum der chinesischen Wirtschaft führen als erwartet. USA als Gewinner der milden Rezession Im Best-Case-Szenario für die USA würden die Banken an der Politik der lockeren Immobilienkreditvergabe festhalten und die Ölindustrie wieder auf die Beine kommen – nachdem das Schlimmste überstanden ist. „Diese Option bedeutet auch, dass sich die internationalen Unternehmen an den stärkeren US-Dollar anpassen und dass vor allem der Wohnungsmarkt angekurbelt wird“, erklärt Christensen. „In diesem Fall würden der Wohnungsbau und damit auch die Immobilienpreise kräftiger steigen, als wir erwartet haben.“ Insgesamt führte dieses Szenario zu einer starken US-Wirtschaft. „Die US-Notenbank würde die Zinsen dann schneller anheben als erwartet – vielleicht sogar spät im 3 oder zu Beginn des 4. Quartals 2016“, erläutert der Experte von Danske Invest.

Autor: Bo Bejstrup Christensen, Danske Invest