Investoren zu sorglos wegen US-Wahlen

08.11.2016

Matteo Germano

Die Präsidentschaftswahlen könnten die Finanzmärkte sowohl in den USA als auch international aus dem Gleichgewicht bringen. Doch viele Investoren sind bislang zu sorglos. Folge: Die mögliche neue Volatilität wird nicht vollständig eingepreist. Stattdessen vertrauen die Anleger auf die Zentralbanken – ungeachtet wachsender Bedenken hinsichtlich der Folgen unkonventioneller Maßnahmen und einer möglichen weiteren Zinserhöhung der US-Notenbank (Fed). In diesem Umfeld sind wir bei Aktien vorsichtiger und bevorzugen EU-Unternehmensanleihen oder Kapitalanlagen in den Schwellenländern.

Die politische Agenda der kommenden Monate ist umfangreich und dürfte die Stimmung an den Finanzmärkten beeinflussen. Die heute stattfindenden US-Präsidentschaftswahlen stehen dabei im Fokus der Investoren. Angesichts der stark unterschiedlichen Kandidaten Clinton und Trump geht damit eine gegenwärtig erhöhte Unsicherheit an den Kapitalmärkten einher. Parallel dazu werden zunehmend populistische Stimmen laut, wodurch das Risiko unerwarteter Abweichungen vom stabilen ökonomischen Wachstumspfad steigt.

In dieser Phase ist aus unserer Sicht eine ausgewogene Diversifizierung der Portfolios entscheidend, um sich vor unliebsamen Überraschungen effektiv zu schützen. Hierzu zählen unseres Erachtens ein aktives Management der Positionen, eine hohe Qualität der Anlagen und eine rechtzeitige Vorbeugung des Abwärtsrisikos.

Anfälliges Konjunkturumfeld

Zwar deuten die Konjunkturindikatoren weiter auf ein moderates Wachstum hin, und einige positive zyklische Effekte sind erkennbar. Hierzu zählen die stetige Entwicklung am US-Arbeitsmarkt und die Robustheit des europäischen Einkaufsmanagerindex; auch das Risiko einer Wachstumsabkühlung in China erscheint unter Kontrolle. Dennoch bleibt das Konjunkturumfeld anfällig und wird von strukturellen Faktoren belastet. Der Brexit hat die globale Unsicherheit erhöht, weitere Folgen werden sich in den kommenden Monaten zeigen. Sollte der Aufschwung am US-Arbeitsmarkt weiter Bestand haben und sollten sich die Inflationszahlen nicht verschlechtern, könnte bis Jahresende eine Zinserhöhung der Fed erfolgen.

Fokus auf Zentralbanken

Die Europäische Zentralbank (EZB) ließ auf ihrer Sitzung im Oktober wie erwartet ihre Strategie unverändert und signalisierte, ihre Zinsen für längere Zeit auf diesem oder einem niedrigeren Niveau zu halten, gegebenenfalls deutlich über die Dauer der Anleiheankäufe hinaus. Die Kombination aus moderatem Wachstum und – dank anhaltend lockerer Geldpolitik – günstigen Finanzierungsbedingungen unterstützt den Markt für Unternehmensanleihen weiterhin. Auch das Anleihekaufprogramm der EZB macht sich in diesem Sektor bereits positiv bemerkbar. Und nachdem die Bank of England (BoE) im Rahmen ihres neuen quantitativen Lockerungsprogramms diesem Beispiel folgt, dürften Unternehmensanleihen künftig noch mehr Auftrieb erhalten. Die Wachstumsaussichten sind zwar leicht positiv, der fehlende Inflationsauftrieb gibt jedoch weiter Anlass zu starker Besorgnis.

Von der Fed gingen bisher uneinheitliche Signale an die Märkte aus. Sie scheint jedoch bereit, nach einer mehrjährigen Phase unkonventioneller Maßnahmen ihre Geldpolitik zu überprüfen. Überdies könnte die zunehmende Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Zinserhöhung den US-Dollar stützen.

Brexit-Auswirkungen: Kurzfristig robust, mittelfristig unsicher

Die nach dem Brexit veröffentlichten ersten Frühindikatoren für Großbritannien und den Euroraum deuten darauf hin, dass sich die makroökonomischen Auswirkungen des Votums für 2016 in Grenzen halten werden. Der britische Arbeitsmarkt zeigt sich weiter im Aufwind, und die Einzelhandelsumsätze haben sich gut behauptet. Im Euroraum sind bisher keine nennenswerten Ansteckungseffekte erkennbar. Das Verbrauchervertrauen hat sich zwar etwas abgeschwächt und liegt leicht unter den Erwartungen, wenngleich noch immer auf hohem Niveau. Entsprechend erholt sich der Konsumsektor, der von niedrigen Ölpreisen und der Verbesserung am Arbeitsmarkt profitiert. Allerdings sehen wir nach wie vor erhebliche mittelfristige Risiken: Der Brexit könnte die Rentabilität europäischer Unternehmen beeinträchtigen; außerdem sind die umfangreiche politische Agenda im Euroraum sowie die Risiken eines politischen Stillstands zu berücksichtigen. In diesem Umfeld empfehlen wir eine vorsichtige Allokation, insbesondere im Hinblick auf europäische Aktien.

Schwellenländer zeigen sich widerstandsfähig

Die Schwellenländer profitieren seit Jahresbeginn von vorteilhaften Geldmarktbedingungen, einer vorausschauenden Fiskalpolitik und einer Erholung der Rohstoffpreise. Nachdem sich die im ersten Halbjahr vorherrschenden Sorgen wegen China und des Ölpreiseinbruchs nun gelegt haben und in den Industrieländern mit dem Brexit neue Risiken aufgekommen sind, hat sich der Fokus der Märkte allmählich wieder auf die Emerging Markets ausgerichtet. Denn die anhaltend lockere Geldpolitik in den Industrieländern und die Verbesserung der makro- und mikroökonomischen Fundamentaldaten haben Anlagen in den Schwellenländern unterstützt. Unser Makromomentum-Indikator – der Änderungen von BIP-Prognosen sowie die externen Bedingungen, den Inflationsausblick und die Fiskal- und Geldpolitik einbezieht – ist seit Januar deutlich gestiegen. Dieser Gradmesser dürfte sich nun stabilisieren, da die Erholung der Rohstoffpreise weit fortgeschritten erscheint und eine weitere fiskalpolitische Expansion unterschiedlich und nur in geringem Umfang erfolgen wird. Wir glauben jedoch, dass sich die Schwellenländer aufgrund der allgemeinen Verbesserung ihrer Wirtschaftslage vergleichsweise gut halten werden. Dies gilt auch für China. Die schwächeren Daten in diesem Sommer deuten zwar auf eine gewisse Verlangsamung hin, eine Korrektur dürfte indes moderat ausfallen und nur vorübergehend sein. Zudem scheinen im Reich der Mitte nun Strukturreformen voranzukommen.

Marktkommentar von Matteo Germano, Global Head of Multi-Asset Investments, Pioneer Investments