Europäische Marktführer im aktuellen Börsenumfeld bevorzugt

22.10.2015

Es gibt nichts Schlechtes, was nicht auch sein Gutes hat. Die Turbulenzen an den europäischen Aktienmärkten über die letzten Monate haben Investoren nicht nur verunsichert, sondern auch merklich zurückhaltender werden lassen; und das zu Recht.

Denn vieles, was nun als Chance zum Einstieg angepriesen wird, ist bei näherer Betrachtung keinesfalls eine günstige Gelegenheit zum (Nach)Kauf. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt derzeit bei 15,7 und damit leicht über dem langjährigen Durchschnitt von 12,58. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Europäische Anleger unterschätzen aktuell, welchem Länder- bzw. Branchenrisiko sie unterliegen. Allerdings gibt es auch etwas Gutes: Aus dem aktuellen Börsenumfeld mit seiner unklaren Richtung, dürften die Spitzenreiter in den jeweiligen Sektoren als Gewinner hervorgehen und den Abstand zur Konkurrenz vergrößern können. Diese Marktführer gilt es zu identifizieren und langfristig davon zu profitieren.

Börsenschwankungen legen versteckte Länderrisiken offen

China befindet sich in einem bemerkenswerten gesamtwirtschaftlichen Sinkflug. Auch viele andere Emerging Markets sind aktuell keine wirkliche Option. Jedoch unterschätzen viele Investoren, dass sie indirekt eben doch der ökonomischen Situation dieser Länder ausgesetzt sind. Denn 26,4 % des europäischen BIPs gehen in den Export, nur 1,8 % des gesamten BIPs nach China. Jedoch sind einige Branchen hier überproportional engagiert. Aus diesem Grund halten wir seit fast einem Jahr – als sich die ersten Probleme in China andeuteten – keine Aktien von Automobilherstellern mehr. Es ergibt sich eine paradoxe Situation: Viele Anleger wählen derzeit bewusst einen home-bias bei Aktien, um ggf. Risiken aus anderen Regionen zu umgehen. Doch je nach Branche ist der home-bias de facto gar keiner, sondern beinhaltet nur versteckt andere Risiken. Wichtiger als das Herkunftsland ist also aktuell die Frage, wo ein Unternehmen seinen Umsatz generiert.

Medizintechnik- und IT-Sektor interessant

Wir suchen in erster Linie Unternehmen, die eine marktführende Position in ihrem Bereich einnehmen, langfristiges Wachstum generieren und ein gutes Management aufweisen.Eine grobe Faustregel ist hier: Ein Wachstum um ca. 5 % pro Jahr ist für einen Marktführer eines Bereichs ein guter Indikator, dass sich das Unternehmen besser als der Wettbewerb behaupten könnte. In Deutschland ist für uns daher insbesondere Zalando interessant. Das Unternehmen dürfte in den nächsten Jahren seine Spitzenposition im e-commerce weiter ausbauen. Ein weiterer interessanter Sektor ist der Healthcare- bzw. Medizintechnikbereich, welcher sich relativ unabhängig von gesamtwirtschaftlichen Zyklen entwickelt. Der Marktführer bei Plasmaprodukten Grifols beispielsweise dürfte von einem jährlichen Wachstum des Sektors in Höhe von 6-8 % pro Jahr profitieren. Langfristig orientierte Anleger kommen zudem kaum um die Marktführer im IT-Bereich herum. Hier fällt insbesondere Dassault Systems auf. Der französische Anbieter von intelligenter Software hilft seinen Kunden aus den Bereichen Zivilluftfahrt, Automobil oder Medizintechnik, die Kosten für Forschung und Entwicklung zu reduzieren. Beim vielgerühmten Konsumgütersektor empfehlen wir ein konzentriertes Vorgehen, da der Sektor insgesamt mit einem KGV von durchschnittlich 22 relativ teuer ist. Dennoch, ein Marktführer wie Reckitt Benckiser mit seinem breit aufgestellten Portfolio dürfte den Wettbewerbern gegenüber deutliche Vorteile haben – und somit trotz höheren Kursniveaus immer noch Luft nach oben haben.

SRI nach diversen Skandalen unumgehbar

Viele größere und kleinere Skandale in der Vergangenheit haben eindrucksvoll vor Augen geführt, dass der Erfolg eines Unternehmens nicht nur auf seiner Profitabilität beruht. Unternehmen müssen heutzutage den Blick über die Finanzkennzahlen hinaus erweitern und mögliche Umwelt-, Sozial- und Führungsrisiken in den Griff bekommen. Diese sog. SRI-Faktoren werden immer wichtiger, eine Nichtbeachtung kann teuer werden und zeitweise die Wettbewerbsfähigkeit gefährden.Um sich vor unerwünschten negativen Effekten für das eigene Portfolio zu schützen, sollten Investoren daher auch nicht-finanzielle Attribute bei Investmententscheidung berücksichtigen. Sie können Investitionsrisiken minimieren und zu einer Verringerung der Volatilität sowie zur langfristigen Steigerung der Rendite beitragen.

Zinsanstieg wird Spreu vom Weizen trennen

Abzuwarten bleibt, wie die Reaktion der Märkte bei einer Zinserhöhung ausfällt. Jedoch ist klar, dass bei großen Unternehmen mit marktführender Stellung die Abhängigkeit von Entscheidungen der Notenbanken erheblich sinkt. Der Grund: Insofern Unternehmen aus den hinteren Reihen eines Sektors in den letzten Jahren ein starkes Wachstum verzeichnen konnten, dürfte dies zu einem erheblichen Teil den Zinsen auf Tiefstniveau zu verdanken sein. Wachstum war und ist immer noch relativ günstig zu erkaufen. Ein Zinsanstieg würde somit helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Autor: Jean-Charles Belvo, Fondsmanager des Echiquier Major bei La Financière de l’Echiquier