Die schleichende Enteignung

04.10.2016

Rolf Ehlhardt

Basis allen Übels im Finanzsystem ist die Überschuldung vieler westlicher Staaten. Missstände wurden nicht durch nachhaltige Reformen eliminiert. Da Ausgabenkürzungen nicht zu den Stärken der Politiker zählen, Steuererhöhungen Wählerstimmen kosten und dem gewünschten Wachstum entgegenstehen, wurden diese Fehlerquellen einfach weiter finanziert. Dadurch steigen aber auch die Schuldenberge. Nur durch die Niedrigzinspolitik lassen sie sich in vielen Ländern noch refinanzieren. Steigen irgendwann die Zinsen oder kommt es zu Mindereinnahmen bei den Steuern, erhöhen sich die Zinsausgaben für die Kredite wieder, und werden relativ schnell einen ungewünscht hohen Anteil der Steuereinnahmen verbrauchen. Anstatt unpopuläre Reformen in die Wege zu leiten, heißen die Zauberwörter „Wachstum“ und „Inflation“. Und zwar mit allen Mitteln, koste es (uns) was es wolle.

Obwohl es erwiesen ist, dass man nachhaltiges Wachstum nicht herbeidrucken kann, wurde auch in Europa die Gelddruckmaschinerie unter Volldampf gesetzt. In Japan erfolglos seit Anfang der 90er Jahre, in den USA verstärkt seit der Finanzkrise in 2008. Die Amerikaner verkaufen das daraus resultierende Wachstum von durchschnittlich etwa drei Prozent im Jahr als Erfolg (Steigerung Bruttosozialprodukt um ca. drei Bill. seit 2008), verschweigen aber dabei, dass die Staatsschulden sich im gleichen Zeitraum von ca. neun Bill. auf über 19 Bill. mehr als verdoppelt haben.

Selbst ohne Rechenmaschine kommt man zum Resultat, dass 100 Dollar Mehrschulden nur 30 Dollar Wachstum generiert haben. Auch Nicht-Volkswirtschaftlern muss klar sein: Dieses „Erfolgsrezept“ ist endlich. Aus dem Zusammenhang gerissen, führten die Wachstumszahlen (sachlich korrekt) zu der gewünscht falschen Meinung: Es geht uns gut. Die Notenbanken haben alles im Griff.

Heute weiß man: Das Gelddrucken war erfolglos. Allerdings mit der Hinterlassenschaft eines noch höheren Schuldenberges. So werden Staaten weiter finanziert, die sogar von dem gutgläubigsten Bänker kein Geld mehr bekämen. Allen Entscheidungsträgern ist klar: Bei „normalen“ Zinsen ist diese Strategie für immer mehr Staaten nicht mehr tragbar. So heißt die neue Lösung (letzter Strohhalm?): Minuszinsen!

Ein kleiner Ausflug in die Volks- bzw. Finanzwirtschaft: Wer einem anderen Geld leiht, geht ein Risiko (Rückzahlung) ein. Dieses Risiko wird mit Zinsen bezahlt. Je höher das Risiko (Bonitätseinstufung), je höher der Zins. Wenn ich aber heute Geld zahlen muss, um Risiken eingehen zu dürfen, dann ist das für mich nur pervers.

Dass diese Notenbankpolitik verbotene Staatenfinanzierung und Manipulation der Zinsen darstellt, soll hier nur am Rande erwähnt werden. Juristisch umgeleitet über Fonds mit verschiedenen Abkürzungen, deren Namen und Inhalt die meisten Politiker nicht kennen. Die Haftungsgröße wird uns bewusst verschwiegen. Seit 2008 wurden weltweit über 12 Billionen in die Märkte gepumpt. Aktuell sind es 200 Mrd. monatlich.

Ein solches Erfolgloskonzept so beherzt und konsequent weiterzuführen, da versteht man Ökonomen, die die Grenzen zum Schwachsinn schon überschritten sehen. Wie schrieben einige Graffiti-Protestler bei Eröffnung der EZB-Zentrale 2015 in Frankfurt: „Krank, kränker, Notenbänker“. Auch Gabor Steingart (Handelsblatt)formuliert sarkastisch: Das exzessive Schuldenmachen ist eine Geisteskrankheit, die man für deren Therapie hält.

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