Die Geldflut der Märkte und das offene Ende

09.11.2014

Susanne Woda

Seit Juni läuft es nicht mehr rund am deutschen Aktienmarkt, mit den Kurseinbrüchen im August und Oktober fiel der DAX auf ein Jahrestief bei 8.425 Punkten. Mit dem Rückenwind der Notenbanken konnten sich die Kurse in den letzten Wochen wieder erholen. Auch wenn die Notenbanken unverändert Geld in die Märkte pumpen haben sich die Rahmenbedingungen für Aktieninvestments verändert. Daraus kann sich schnell eine Abwärtsspirale bilden.

Die weltweite Geldpolitik ist ohne Frage weiter expansiv und ein Ende der Geldflut nicht abzusehen. Die japanische Zentralbank wird noch mehr Anleihen aufkaufen und ihre Geldbasis von bisher 60 bis 70 Billionen Yen auf 80 Billionen ausweiten. Auch die EZB gerät zunehmend in Zugzwang und will die zuletzt schrumpfende Bilanzsumme wieder auf das Niveau von 2012 hieven. Die Fed beendete zwar kürzlich ihre Anleihekäufe, doch die „Tauben" gewinnen wieder die Oberhand und könnten die Zinswende weiter in die Zukunft verschieben als bisher angenommen. Keine der Zentralbanken wird ihre Bilanzsumme auf absehbare Zeit verringern. Diesbezüglich hat sich kaum etwas verändert: Die weltweite Geldmenge wird aufgebläht und wird sich ihren Weg in die Kapitalmärkte bahnen. Wie zum Beweis hat sich der deutsche Aktienindex nach den Ankündigungen der Notenbanken in den letzten Tagen von seinen Tiefs gelöst und eine fulminante Aufholbewegung gestartet. Ist der Tiefpunkt nun überwunden und spricht wie bisher alles für unbegrenzte Freude an Aktien?

Anleger sollten sich die Kurstreiber von Aktienkursen bewusst machen, und diese sind in der Geschichte immer dieselben: Unternehmensgewinne einerseits und die Bewertungsniveaus, welche die psychologische Verfassung der Märkte widerspiegeln, andererseits. Aus diesen Komponenten wurde auch die Rallye der letzten Jahre gespeist, doch nun droht beiden die Luft auszugehen.

Beim aktuellen DAX-Stand von 9.300 Punkten beläuft sich das Index KGV auf mehr als 13. Gemessen am historischen Durchschnitt von 14 scheint das nicht zu teuer. Doch schleichende Veränderungen haben es an sich, dass sie kaum wahrgenommen werden. Schrittweise gewöhnt man sich daran und übersieht dabei das Ausmaß der Veränderung. Im Jahr 2011 lag das DAX-KGV nur bei 7,5. Das heißt Anleger waren lediglich bereit, das 7,5-fache des damals vergleichsweise niedrigen Unternehmensgewinns für eine Aktie zu zahlen. Mit abnehmender Risikoscheu und wirtschaftlicher Zuversicht hat sich diese vielbeachtete Messgröße peu à peu nach oben bewegt und die Relationen umgekehrt. Heute ist man bereit, 13 Jahre auf die Rückzahlung seines Kapitals zu warten – wohlgemerkt auf einem weitaus höheren Gewinnniveau. Um eine weitere Ausweitung der Bewertungskennziffern zu rechtfertigen braucht es also viel Fantasie, vor allem hinsichtlich der Entwicklung der Unternehmensgewinne.

Doch woher soll diese Fantasie kommen? Die deutsche Wirtschaft hat sich ohne Frage gut entwickelt und die Unternehmensgewinne bewegen sich in diesem Jahr wieder auf dem Vorkrisenniveau. Doch die Dynamik der letzten Jahre lässt sich auf dieser hohen Basis nicht unendlich fortsetzen. Der Bundesrepublik wird ein mageres Wirtschaftswachstum von 1,1 % zugebilligt, den Unternehmen hingegen wird weiterhin ein stattliches Gewinnwachstum zugetraut. Dieses Missverhältnis birgt Unsicherheit und Enttäuschungspotenzial. Auf der einen Seite wirken natürlich der jüngst wieder schwächere Euro und niedrige Rohstoffpreise konjunkturfördernd, auf der anderen Seite ist da die Unsicherheit. Die ungelösten Konflikte in der Ukraine und dem Nahen Osten schwelen weiter, die Bedrohung durch den Horrorvirus Ebola ist ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Risikofaktor. Nicht zuletzt bringt der Verfall des Ölpreises, ein wichtiger Frühindikator für die Entwicklung der Weltwirtschaft, Sorgenfalten auf die Stirn der Investoren.

Da auch die Attraktivität von Anleihen, zumindest in den USA, wieder leicht zugenommen hat, dürften sich zweifelnden Investoren auch wieder alternative Anlageformen eröffnen. Man denke dabei auch an den Goldpreis, der auf dem aktuellen Niveau gegenüber anderen Assetklassen und im Vergleich zu den Krisenjahren wieder günstig daher kommt.

In diesem Umfeld ist die charttechnisch angeschlagene Verfassung des deutschen Leitindex kein gutes Omen. Denn dieser hat den seit 2011 aufgebauten Aufwärtstrend mit Unterschreiten der 8.900-Punkte-Marke Mitte Oktober gebrochen. Die seit Jahresbeginn aufgebaute Schwächephase konnte bis zu diesem Zeitpunkt als Korrektur, Ausbildung eines Seitwärtstrends oder trendlose Phase bezeichnet werden. Doch nun offenbart der Blick auf den Chart das fast bilderbuchmäßige Muster eines beginnenden Abwärtstrends, der bereits zwei Hoch- und zwei Tiefpunkte ausgebildet hat und nun einen Anlauf auf den dritten Hochpunkt bei etwa 9.600 Punkten genommen hat. Ob der Schwung ausreicht, um die 200-Tage-Linie und die darüber liegenden Widerstände zu überwinden und den Aufwärtstrend wieder aufzunehmen, ist nicht gewiss.

Ohne massive externe Einflüsse wird dies kaum zu bewerkstelligen sein und es droht die Verstetigung des Abwärtstrends. Da Aktienmärkte bekanntlich zu Übertreibungen neigen, ist im aktuellen Umfeld weiteres Ungemach nicht auszuschließen.

(Autorin: Susanne Woda, Portfoliomanagerin bei GVS Financial Solutions)