Deutschlands wankelmütige Rentenpolitik

15.04.2014

Dr. Andreas Höfert

Im Koalitionsvertrag zwischen den zwei großen deutschen Parteien (der CDU/CSU von Kanzlerin Angela Merkel und den Sozialdemokraten der SPD) wurde es vor einigen Monaten schon angekündigt und jetzt bestätigt: Deutschland möchte einen Teil der Reformen rückgängig machen, die das Land in den letzten Jahren so erfolgreich gemacht hatten.

Für die mittelfristigen wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands ist das kein gutes Zeichen.

Paradoxerweise könnte es jedoch dazu beitragen, die schwelende Eurokrise zu lindern. Die Einführung eines Mindestlohns und die Energiewende sind zwei Kostenfaktoren, die die deutsche Wirtschaft in der nächsten Zeit bewältigen muss. Die größte Herausforderung wird jedoch die Rentenreform sein, nach der Arbeitnehmende mit 45 Beitragsjahren künftig mit 63 in Rente gehen können. Dies ist eine 180-Grad-Wende zur letzten Reform, mit der das Rentenalter erst vor sieben Jahren von 65 auf 67 angehoben wurde.

Meiner Meinung nach ist diese Reform aus mehreren Gründen eigenartig. Erstens zeigt sie wieder einmal die beinahe karikaturistische Kurzsichtigkeit einiger Politiker. Hier könnte man den Hinweis aus unseren Research-Publikationen zitieren: „Die Entwicklung in der Vergangenheit ist keine Garantie für die zukünftige Performance". Nur weil die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren ein gutes Wachstum erzielt und andere Länder in der Eurozone übertroffen hat, heißt das noch nicht, dass sie das weiterhin kann. Nur weil sich Deutschland in den letzten zehn Jahren vom „kranken Mann Europas" zu einer „Exportmacht" gewandelt hat, heißt das nicht, dass das Land diesen Status halten kann. Im Gegenteil: Es ist viel wahrscheinlicher, dass die Rücknahme von Reformen, die es so erfolgreich gemacht haben, den Erfolg zunichte macht.

Zweitens erscheinen die Staatsfinanzen und die Schuldensituation Deutschlands wesentlich besser als die Situation vieler anderer Industrieländer. Mit einer Verschuldungsquote von rund 80 % des BIP liegt Deutschland in der G7-Gruppe in Führung. Andererseits liegt der Wert von 80 % um 20 Prozentpunkte über der im Maastricht-Vertrag (erinnern Sie sich?) festgelegten Obergrenze für den Beitritt zur Eurozone. Zudem sind in diesen 80 % die nicht gedeckten Verpflichtungen des Staats, also alle Versprechungen in dem Gesetz, deren Finanzierung nicht gesichert ist, noch nicht berücksichtigt.

Staatliche Pensionskassen von Ländern mit ungünstiger Bevölkerungsstruktur fallen definitiv in diese Kategorie. In dieser Hinsicht steht Deutschland sehr schlecht da. Mit einem Medianalter von 46,3 Jahren hat das Land jetzt schon die zweitälteste Bevölkerung der Welt (gleich hinter Japan).

UNO-Prognosen zufolge wird dieses Medianalter in den nächsten zwei Jahrzehnten auf 50 steigen, während die Bevölkerung Deutschlands um rund 5 Millionen schrumpfen wird. Der Altersabhängigkeitsquotient (das prozentuale Verhältnis der über 65-Jährigen zur Altersgruppe zwischen 20 und 64) wird bis dahin von heute 35,3 % auf 60,2 % steigen. Man braucht keinen Doktortitel in Volkswirtschaft, um zu verstehen, dass die ungedeckten Verpflichtungen des deutschen Staats mit dieser Reform in die Höhe schießen.

Nicht zuletzt ist da noch die Frage der Führungsrolle Deutschlands in der aktuellen Eurokrise. In fast allen Managementschriften heißt es, dass „Führung durch Vorbild" die beste Methode sei, um andere zu motivieren. Wasser predigen und Wein trinken führt dagegen zu ernsthaften Problemen und kontraproduktivem Verhalten.

Wie kann Deutschland dem Rest Europas Sparmaßnahmen predigen, wenn es sich nicht an seine eigenen Regeln hält? Immerhin hat das Ganze aber wenigstens einen positiven Aspekt. Eine der Hauptursachen für die Eurokrise ist die Heterogenität der Länder in der Eurozone in Bezug auf das Sozialwesen und das Arbeitsrecht. Die EU ist wie eine Klasse mit einem Musterschüler und vielen Sitzenbleibern. Um die nötige Homogenität zu erreichen, müssen sich entweder die schlechten Schüler gewaltig anstrengen, oder der Musterschüler muss zum Mittelmaß abrutschen. Es ist klar zu sehen, was hier passiert.

(Autor: Dr. Andreas Höfert, Chefökonom, Regional CIO Europa, UBS AG)