„China – Übergang zu einem konsumorientierten Modell“

03.06.2013

Die industrialisierte „alte" Welt steckt in der Krise – die neuen Märkte (Schwellenländer) sind die Hoffnungsschimmer, auch für Investoren. „finanzwelt" hakte zur aktuellen Titelstory mit dem Fokus „Der Fluss, der die Welt retten soll**" nach und bat die ausgewiesene China-Expertin **Mandy Chan, Investment Director and Head of Chinese Equities bei HSBC Global Asset Management in Hongkong, um ihre Meinung.

finanzwelt: Wie schätzen Sie die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung Chinas momentan ein?

Chan: China hat in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung hingelegt und ist heute die zweitgrößte Wirtschaft der Welt. Der beispiellose Erfolg Chinas, hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu heben und die Schaffung einer immer wachsenden wohlhabenden Mittelschicht, legen das Fundament für weitere strukturelle Änderungen der Wirtschaft.

Dennoch stehen dem Land erhebliche Herausforderungen bevor. Grundsätzlich muss China seine Produktivität fördern, um der Mittelstandsfalle zu entkommen. Das bedeutet: steigende Urbanisierung, in der Wertschöpfungskette weg vom Billigproduzenten hin zur Qualitätsproduktion, eine weitere Öffnung der Finanzmärkte, um die Effizienz der Kapitalallokation zu verbessern, sowie Maßnahmen, um die Geschäftstätigkeiten zu vereinfachen. Die chinesische Regierung hat diese Herausforderungen erkannt und es gibt Anzeichen dafür, dass sich die neue Führung zu den notwendigen Strukturänderungen bekennt. In diesem Zusammenhang haben wir zum Beispiel schon Pläne für die Ankurbelung der Urbanisierung, eine Bewegung in Richtung Deregulierung der Kapitalmärkte und auch Regierungsunterstützung für „strategische" high-end Branchen gesehen.

Um Investitionen für die Mittelstandsunternehmen oder den Produktionsbereich attraktiv zu machen, möchte die Regierung die Umweltregulierungen für die Schwerindustrien verschärfen. Dies betrifft z.B. Zement- und Stahlfirmen. Mit dieser Maßnahme sollen Überkapazitäten ausgeglichen und die Kapitalrenditen im Produktionsbereich verbessert werden.

Chinas Wachstum hat sich von zweistelligen auf eine einstellige Rate pro Jahr verlangsamt, mit einem Ziel von 7,5% BIP-Wachstum in diesem Jahr. Die chinesische Regierung signalisiert, dass sie den Fokus statt auf ein Wachstum um jeden Preis lieber auf ein gleichmäßiges Wachstum legen möchte. Das sind gute Nachrichten.

finanzwelt: Gemäß dem 5-Jahres-Plan möchte die chinesische Führung den Binnenkonsum stärken. Inwieweit lässt sich dieses Ziel mittelfristig realisieren und welche konkreten Maßnahmen hat Peking hierzu schon unternommen?

Chan: Das Ziel der Regierung, den heimischen Konsum zu stärken, ist durchaus erreichbar, wird aber Zeit in Anspruch nehmen. Zurzeit hat die Regierung einen Fokus auf die Urbanisierung gelegt, die sie innerhalb der nächsten beiden Dekaden von 50% auf 70% steigern möchte. Realistischerweise müsste man aber die Pendler in die Städte aus der Gleichung streichen und dann liegt die Urbanisierungsrate eher bei 35% - derzeit unterliegen diese Wanderarbeiter Einschränkungen bei den städtischen Dienstleistungen, welche Regierungsplänen zufolge allmählich fallen sollen. Der städtische Konsum übersteigt den ländlichen bei weitem, und das alleine könnte dann den Effekt des Konsums auf das BIP-Wachstum erhöhen.

Die übliche Gehaltserhöhung beträgt in China pro Jahr zwischen zehn und zwölf Prozent, da die Regierung eine Umverteilung des Wohlstands von den staatlichen Unternehmen auf die Menschen anstrebt. Damit könnte der Inlandskonsum bis 2015 einen wesentlich höheren Beitrag zum chinesischen BIP leisten.

finanzwelt: Welche Branchen werden Ihrer Meinung nach in Zukunft profitieren?

Chan: Für diejenigen Branchen und Sektoren, die in Verbindung mit den strukturellen Veränderungsplänen der Regierung stehen, werden sich interessante Möglichkeiten ergeben – beispielsweise für Konsumaktien, die Gesundheitsbranche, bei Technologiefirmen und Luxusindustrie. Dies gilt speziell in den Sektoren der „Sieben Strategischen Branchen", wie sie im Fünfjahresplan beschrieben sind. Wir favorisieren weiterhin Unternehmen mit einem stabilen Umsatzwachstum und der Fähigkeit, ihre Gewinnspanne durch einen intelligenten Produktionsmix zu erhöhen. Beispielhaft kann hier die Automobilbranche genannt werden. Chinesische SUV Hersteller gewinnen in China weiterhin Marktanteile gegenüber den ausländischen Anbietern, wenn man ihre technologische Migration und Stärke in ihrem Tier-2-Vertriebsnetz betrachtet. Neben dem Automobilsektor finden wir angesichts der Unterstützung durch die Regierung alternative Energien wie Wind oder auch erneuerbare Energien interessant.

finanzwelt: Gibt es Risiken und Entwicklungen, denen Sie mit Skepsis begegnen?

Chan: China ist ein sogenannter „Emerging Market" und Investoren müssen sich der Risiken bewusst sein, die ein Investment in diese Märkte mit sich bringt. Es ist ganz wichtig, eine gründliche Due Diligence anzuwenden, wenn man in ein Unternehmen aus den Emerging Markets investieren möchte – genauso wie für jedes andere Unternehmen auch, in das ein Anleger investieren möchte. Chinesische Aktien reagieren sehr sensibel auf politische Entscheidungen – auch unter dem Gesichtspunkt, dass die meisten chinesischen Unternehmen noch immer unter staatlicher Kontrolle stehen, das betrifft z.B. Kontrollen über die Rohstoffpreise. Chinesische Unternehmen haben in den letzten zwei Jahren ihren Fremdkapitalanteil erhöht. Um für die Rückzahlung nicht einzig von den Banken abhängig zu sein, müssen sie ihre Profitabilität und ihre Cashflows verbessern. In einzelnen Branchen gibt es noch immer Überkapazitäten, z.B. in der Rohstoffindustrie. Hier ist es notwendig, dass die Regierung die Konzernbildung vorantreibt.

Das Interview führte Alexander Heftrich