Ausblick 2018 – Schicksalsjahr eines Exportweltmeisters?

30.11.2017

Thomas Wüst, Geschäftsführer valorvest Vermögensverwaltung / Foto: © valorvest

Am Freitag findet in Moskau die Auslosung zur Fußball-WM statt. Als Titelverteidiger ist Deutschland gesetzt. Trotzdem droht unserem Team mit Spanien oder England, Dänemark oder Schweden und Australien oder Nigeria eine schwere Vorrunde. Doch Nationaltrainer Jogi Löw kann unsere Elf optimal auf diese Herausforderungen vorbereiten, um das schwierige Unterfangen „Titelverteidigung 2018“ anzugehen.

Eine Situation, auf die die deutsche Wirtschaft angesichts des politischen Vakuums und der großen Herausforderungen in unserem Land nur neidisch blicken kann. Dabei steht einerseits für die deutsche Wirtschaft wesentlich mehr auf dem Spiel, als bei der schönsten Nebensache der Welt. Andererseits geht es aber auch um viel mehr: die Zukunft der Europäischen Union (EU).

Denn 2018 bringt nicht nur die Entscheidung über den künftigen Fußball-Weltmeister, sondern es stehen auch politische Weichenstellungen im Sinne von Wahlen unter anderem in Belgien, Ungarn oder Italien sowie Landtagswahlen in Bayern und Hessen vor der Tür. Parallel dazu werden seitens der EU die Brexit-Verhandlungen geführt und auch die Europawahl 2019, dem Jahr des Austritts Großbritanniens aus der EU, wirft ihren Schatten voraus.

Dass sich die Politik in Deutschland nach der Bundestagswahl eine Auszeit nimmt, in der es bei wichtigen Zukunftsthemen, wie der Digitalisierung, dem demografischen Wandel, dem damit verbundenen Fachkräftemangel, Bildung- und Infrastrukturinvestitionen, Gleichberechtigung, Elektromobilität oder selbstfahrenden Autos, nicht vorangeht, hat kurzfristig sicher noch keine großen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. So ist der digitale Wandel, insbesondere in den ohnehin zumeist international ausgerichteten DAX-Konzernen, schon voll im Gange.

Die Division „Digital Factory“ hat bei Siemens im vergangenen Quartal überproportional zum Wachstum beigetragen. Gleichzeitig drohen aber ausgerechnet in strukturschwachen Regionen Deutschlands Werksschließungen. Gerade strukturschwache, ländliche Regionen werden durch fehlende Investitionen in den digitalen Netzausbau weiter abgehängt, wodurch der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erneut auf eine harte Probe gestellt wird. Um den daraus resultierenden Gefahren von nationalistischen oder protektionistischen Tendenzen entgegenzutreten, sind politische Visionen aber vor allem auch mutige Investitionen beispielsweise in Bildung und Infrastruktur nötig.

Eines ist auch klar: so unbedeutend die zeitlichen Verzögerungen politscher Entscheidungen aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage kurzfristig sind, so stärker wirken sie mit einem „time lag“, wenn aus ihnen strukturelle Probleme werden, was sich bei dem Fachkräftemangel und der Demografie abzeichnet. Wenn Deutschland als Stabilitätsanker in der Europäischen Union künftig in eine Schieflage kommen sollte, wird es umso schwerer, von anderen Mitgliedsstaaten so dringend erforderliche Strukturreformen einzufordern.

Proaktiv im Sinne einer Stärkung der Europäischen Union zu handeln, setzt voraus, dass es entsprechende Handlungsspielräume auch gibt. Der Ruf nach einer verstärkten Partizipation anderer EU-Länder an dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss gerät mittel- bis langfristig unter die Räder, wenn Deutschland weiter Raubbau an seinen Standortqualitäten betreibt.

Deutschland ist für die Verteidigung des Titels „Exportweltmeister“ derzeit zwar noch gut aufgestellt, aber andere Länder holen auf – von den protektionistischen Strömungen in den USA ganz zu schweigen. Deutschland braucht dringend einen Trainer, im Sinne einer handlungsfähigen Regierung, der nationale Zukunftsthemen mutig angeht und neben Frankreich seiner Schlüsselrolle in der Europäischen Union gerecht wird.

Noch haben wir Talente in Deutschland, aus denen wir schöpfen und mit einer tollen Aufstellung ins neue Jahr gehen können. Doch was die Vernachlässigung der so wichtigen Nachwuchsarbeit bedeutet, musste Italien an der gescheiterten WM-Qualifikation mit einer zwar erfahrenen aber eben auch überalterten Mannschaft schmerzlich erfahren. Hoffen wir, dass die Politik in Deutschland das Ruder des Handels wieder in die Hand nimmt und die Zeichen der Zeit erkennt – auch und gerade im Sinne Europas.

Kolumne von Thomas Wüst, Geschäftsführer valorvest Vermögensverwaltung in Stuttgart