Analyse zum BGH-Urteil vom 12.05.2011 / Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch bei Nichtanwendung von EU-Recht durch die Finanzverwaltung.

03.02.2013

Verstößt ein Steuerbescheid bzw. eine Einspruchsentscheidung gegen Unionsrecht und ist dadurch rechtswidrig, so kann ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegeben sein, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  1. Es muß gegen eine Norm des Unionsrecht verstoßen worden sein, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.
  2. Der Verstoß muß hinreichend qualifiziert sein. Dies setzt ein Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift voraus.

Kurzzusammenfassung:

Einem in der Aufbauphase befindlichen Unternehmen war seitens des  Finanzamtes die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft versagt worden. Die Folge war, daß besagtem Unternehmen zunächst hohe Vorsteuererstattungsansprüche versagt wurden, so daß das Unternehmen in die Liquidation ging. Nachdem im Einspruchsverfahren Jahre später die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft seitens des Finanzamtes anerkannt worden war, machte das in Liquidation befindliche Unternehmen Schadensersatz geltend, der sich aus verloren gegangenen Investitionen, entgangenem Gewinn und Kosten für die Rechts- und Steuerberatung zusammensetzte. Während LG und OLG die Klage abwiesen, führte die Revision vor dem BGH zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreites an das OLG. Der BGH iudizierte folgendes: Verstößt ein Steuerbescheid bzw. eine Einspruchsentscheidung gegen Unionsrecht und ist dadurch rechtswidrig, so kann ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegeben sein, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Es muß gegen eine Norm des Unionsrecht verstoßen worden sein, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.
  • Der Verstoß muß hinreichend qualifiziert sein. Dies setzt ein Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift voraus. „Bei einem erheblich oder gar auf Null reduzierten Ermessensspielraum aufgrund eindeutigen Wortlauts einer Richtlinie kann bereits die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen. …Dabei ist eine Konkretisierung einer für sich genommen möglicherweise unklaren Richtlinie durch den Gerichtshof zu berücksichtigen. Zieht die Verwaltung nicht alle Konsequenzen aus einem Urteil des Gerichtshofs, in dem die entscheidungserheblichen Auslegungsfragen klar beantwortet wurden, dessen Sach- und Rechtslage insbesondere mit der des von der Verwaltung zu entscheidenden Verfahrens vergleichbar ist, ist ein Rechtsverstoß regelmäßig qualifiziert …“ [BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, WM 2011, 1670 Rdn. 25] Zwischen dem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden muß ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen. [BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, WM 2011, 1670 Rdn. 13 m.w.N.]

Hat ein Finanzamt gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, ist der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch gegen das Bundesland zu richten, dem das Finanzamt angehört (BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, WM 2011, 1670 Rdn. 13 u.H.a. BGH 02.12.2004 – III ZR 358/03, BGHZ 161, 224, 234).

Indem die deutsche Finanzrechtsprechung iudiziert, ein unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ergangener bestandskräftiger Steuerbescheid sei nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsehe (FG Rheinland-Pfalz 20.01.2010 – 1 K 128/08, DStRE 2011, 767, 769 m.w.N.), ist dann die Möglichkeit gegeben, den Sekundärrechtsschutz des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs zu suchen. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides und der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht stehen fest, nur das Verfahrensrecht sperrt weiteren Primärrechtsschutz.

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(Dr. Jur. Klaus-R. Wagner, Rechtsanwalt, Notar und Fachanwalt für Steuerrecht)

http://finanzwelt.de/wp-content/uploads/Analyse_zum_BGH_Urteil_vom_12.05.2011.pdf